Indisches Höchstgericht kippt umstrittenes Scheidungsgesetz

"Historische" Entscheidung in Indien: Muslimische Männer können keine Blitzscheidungen mehr durchführen. Frauenaktivistinnen jubilieren.

Bisher musste ein muslimischen Mann in Indien nur drei Worte aussprechen, um seine Ehefrau loszuwerden: „Talaq, Talaq, Talaq“. „Talaq“ bedeutet übersetzt Scheidung. Es waren Blitztrennungen, die unter Berufung auf die islamische Tradition vollzogen wurden – in Anwesenheit der Ehefrau. Immer öfter wurde aber auch die Trennung einfach per Post, Skype, WhatsApp und andere soziale Netzwerke übermittelt.

Das indische Oberste Gericht setzte gestern den Blitzscheidungen ein Ende. Die Praxis, die in der indischen Öffentlichkeit auch unter dem Begriff „Triple Talaq“ bekannt ist, wurde von einem Richterkollegium mit knapper Mehrheit für verfassungswidrig erklärt. „Was in der Religion Sünde ist, kann rechtlich nicht gültig sein“, begründete das Gericht seine Entscheidung; diese Praxis widerspreche den Lehren des Koran. Das Urteil fiel knapp aus: Fünf männliche Richter aus fünf unterschiedlichen Religionsgemeinschaften (ein Hindu, ein Christ, ein Muslim, ein Sikh und ein Zoroastrier) fällten die Entscheidung mit einer 3:2-Mehrheit. Der muslimische Richter stimmte Medienberichten zufolge gegen das Verbot. Die Regierung muss nun innerhalb von sechs Monaten ein neues Scheidungsrecht ausarbeiten.

"Endlich fühle ich mich frei"

Die fünf Frauen, die gegen das Gesetz geklagt hatten, werteten das Urteil dennoch als Erfolg. Sie alle waren als Muslima selbst von einer Blitzscheidung betroffen. „Endlich fühle ich mich frei“, sagte Shayara Bano, 35 Jahre alt und Mutter zweier Kinder, die im Oktober 2015 von ihrem Mann nach 15 Ehejahren per „Triple Talaq“ verlassen wurde. Bano gab sich zuversichtlich, dass das Urteil „viele muslimische Frauen befreien“ werde.

Auch muslimische Frauenorganisationen wie „Bharatiya Muslim Mahila Andolan“ hatten gegen das Gesetz mobil gemacht, weil es in ihren Augen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzte. Die indische Familienministerin Maneka Gandhi bezeichnete die Gerichtsentscheidung als „großen Schritt für die Frauen“, auch Premierminister Narendra Modi, der ebenfalls für eine Reform geworben hatte, sprach von einem „historischen“ Urteil.

Mit seiner Gegnerschaft des Gesetzes bot sich der Führungskader der hinduistisch-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) den muslimischen Frauen als ungewöhnlicher Unterstützer an.

Debatte um Personenrechte

Angesichts des Urteils wird in Indien unter anderem die Frage debattiert, inwieweit sich der Staat in die Privatsphäre einmischen darf, und ob religiös begründete Personenrechte zeitgemäß sind. In Indien leben rund 180 Millionen Muslime; sie machen damit etwa 14 Prozent der rund 1,3 Milliarden Einwohner Indiens aus. Indien ist offiziell ein säkulares Land, erlaubt aber religiösen Institutionen ein Entscheidungsrecht in Fragen, die sich um Heirat und Scheidung drehen. Modi und seiner Hindu-Partei ist dieses Personenrecht ein Dorn im Auge; er will ein einheitliches Zivilrecht schaffen.

Nicht alle islamischen Vertreter befürworteten das Verbot. Sie betrachten sie als Einmischung und mögliche Dominanz der Hindu-Mehrheit. Asaduddin Owaisi, Vorsitzender der konservativen Partei „All India Majlis-e-Ittehadul Muslimeen“ (AIMIM), einer Verfechterin muslimischer Personenrechte, erklärte, er werde das Verbot akzeptieren. Die Implementierung sei eine „Herkulesaufgabe“.

Auch Klägerin Bano hofft nun, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts von den Bürgern akzeptiert werde. Und sie rief auf, das Urteil „nicht zu politisieren“.

(som)

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