Erdbeben: Touristen verlassen Ischia

Trümmer in den Straßen eines Dorfs auf Ischia. Viele Häuser sind trotz bekannten Bebenrisikos einfach billig gebaut.
Trümmer in den Straßen eines Dorfs auf Ischia. Viele Häuser sind trotz bekannten Bebenrisikos einfach billig gebaut.imago/ZUMA Press
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Spezielle geologische Verhältnisse und katastrophale Baukultur sind schuld an unüblich großen Schäden, die das Beben der Stärke 4,3 am Montag verursachte. Zwei Menschen starben.

Es fühlte sich an, als sei eine Bombe explodiert, man wurde hin- und hergeworfen“, erzählte ein italienischer Urlauber dem Radiosender RaiUno. „Wir dachten erst an ein Attentat“.

Andere Touristen und Einwohner auf der Insel Ischia vor Neapel, die am Montagabend gerade beim Essen saßen oder durch die Straßen bummelten, berichteten über ein Tosen und Dröhnen, das sich vom Meer her näherte, dann folgten heftige Erschütterungen, der Strom fiel aus. „Im Restaurant brach Panik aus, wir krochen unter die Tische, dann rannten alle nach draußen“, sagte ein Zeuge. „Die Leute flohen wie im Krieg“.

Es war kurz vor 21 Uhr, als am Montagabend die Ferieninsel Ischia im Golf von Neapel von einem Erdbeben erschüttert wurde. Mit einer Stärke von 4,3 war es eigentlich leicht, und das Epizentrum lag etwas entfernt im Meer etwa auf halber Entfernung zur Küste. Dennoch gab es überproportional schwere Schäden, fast ausschließlich im Ort Casamicciola an der Nordküste, wo viele Häuser ganz oder teilweise einstürzten. Dabei kann man noch von Glück sprechen, dass „nur“ zwei Frauen starben und etwa 40 verletzt wurden – dabei wurden doch rund 2600 Menschen obdachlos.

Eine der Frauen war von Mauerbrocken der Kirche Santa Maria del Suffragio erschlagen, eine andere Frau wurde tot in den Trümmern ihres Hauses gefunden. Auch drei Kinder bzw. Jugendliche, darunter ein Baby, waren stundenlang verschüttet, konnten aber wohlauf gerettet werden.

Zur Zeit des Bebens waren an die 250.000 Touristen und 60.000 Einheimische auf der 46 km2 großen Insel Ischia (entspricht der Größe von Wels, OÖ). Viele verbrachten darauf die Nacht im Freien, oft samt Gepäck, die meisten Urlauber begannen am Dienstag, die Insel mit Schiffen nach Neapel und Pozzuoli zu verlassen. Österreicher kamen laut Außenministerium in Wien nicht zu Schaden.

Die Mehrzahl der Urlauber zu dieser Jahreszeit kommt aus Italien. Viele ausländische Touristen besuchen die für ihre Thermalbäder berühmte Insel eher in der Nebensaison. Jedes Jahr kommen fast eine halbe Million Deutsche, auch Kanzlerin Angela Merkel macht gern Osterurlaub auf Ischia.

Katastrophale Baukultur

Bürgermeister Enzo Ferrandino versuchte am Dienstag zu beruhigen. Nur ein sehr kleiner Teil der Insel sei beschädigt, der Betrieb der Hotels laufe unbeeinträchtigt weiter. „Die Situation ist völlig unter Kontrolle“, versicherte er. Der Erdstoß ereignete sich kurz vor dem Jahrestag des Beginns der schweren Bebenserie in Mittelitalien. Am 24. August 2016 waren dort fast 300 Menschen gestorben.

Laut US-Erdbebenzentrum USGS gab es in einem 24-Stunden-Zeitfenster um das Beben vom Montag weltweit rund 30 weitere, teils viel stärkere Beben (bis 5,4) auch in oder nahe bewohnten Regionen wie Mexiko, Indonesien, Japan, Nepal, die nach bisherigen Informationen alle folgenlos blieben. An den ungewöhnlich großen Schäden auf Ischia sind laut Wissenschaftlern und Behörden besondere geologische Verhältnisse und eine katastrophale Baukultur schuld: Viele Bauten wurden illegal errichtet bzw. sind nicht erdbebensicher, obwohl Ischia in einem bekannten Risikoraum nahe der Phlegräischen Felder bei Neapel liegt – dieses Gebiet stellt einen der wenigen Supervulkane dar.

Beben werden hier in erster Linie nicht durch Verschiebung von Erdplatten ausgelöst, so wie etwa in den Abruzzen. Vielmehr ist der ganze Untergrund im Grunde ein Vulkan mit zahlreichen Schloten, durch die vulkanische Aktivität fielen unterirdische Gesteinsschichten in sich zusammen, erläuterte der Seismologe Gianluca Valensise. Weil sich diese Beben in geringerer Tiefe (nur wenige Kilometer) ereigneten, verursachten sie größere Schäden an der Oberfläche.

Seit alten Zeiten wurden auf Ischia immer wieder Erdstöße dokumentiert, die bisher schwersten 1883. In Casamicciola starben damals rund 2300 Menschen.

„Krimineller Missbrauch“

Experten und Politiker sind empört, dass recht schwache Beben in Italien immer wieder Tote fordern und viel Schaden verursachen. „In anderen hoch entwickelten Ländern gibt es das nicht“, sagt Geologe Mario Tozzi. Aber das Phänomen ist weit verbreitet, dass Häuser illegal in Risikogebieten unter Missachtung aller Normen zur Bebensicherheit gebaut werden, zudem aus billigem Zement. Der Präsident Kampaniens sagte, auf Ischia habe es kriminellen Missbrauch dieser Art sowie Immobilienspekulationen gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2017)

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