Indien: Gericht kippt Blitzscheidungen

Frauen in Indien
Frauen in IndienREUTERS
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„Triple Talaq“-Praxis, dank der muslimische Männer ihre Ehefrauen in Sekundenschnelle verlassen konnten, ist ab sofort verfassungswidrig. Frauenaktivistinnen jubilieren.

Neu Delhi. Bisher musste ein muslimischer Mann in Indien nur drei Wörter aussprechen, um seine Ehefrau loszuwerden: „Talaq, Talaq, Talaq.“ „Talaq“ bedeutet übersetzt Scheidung. Es waren Blitztrennungen, die unter Berufung auf die islamische Tradition vollzogen wurden – in Anwesenheit der Ehefrau. Immer öfter wurde die Trennung aber auch einfach per Post, Skype oder WhatsApp übermittelt.

Das indische Oberste Gericht setzte gestern den Blitzscheidungen ein Ende. Die Praxis, die in der indischen Öffentlichkeit auch unter dem Begriff „Triple Talaq“ bekannt ist, wurde von einem Richterkollegium mit knapper Mehrheit für verfassungswidrig erklärt.

„Was in der Religion Sünde ist, kann rechtlich nicht gültig sein“, begründete das Gericht seine Entscheidung; die Praxis widerspreche den Lehren des Koran. Das Urteil fiel knapp aus: Fünf männliche Richter aus fünf unterschiedlichen Religionsgemeinschaften (ein Hindu, ein Christ, ein Muslim, ein Sikh und ein Zoroastrier) fällten die Entscheidung mit einer 3:2-Mehrheit. Laut Medienberichten stimmte der muslimische Richter gegen die Aufhebung. Die Regierung muss nun innerhalb von sechs Monaten ein neues Scheidungsrecht ausarbeiten.

Die fünf Frauen, die gegen das Gesetz geklagt hatten, werteten das Urteil dennoch als Erfolg. Sie alle waren als Musliminnen selbst von einer Blitzscheidung betroffen. „Endlich fühle ich mich frei“, sagte Shayara Bano, 35 Jahre alt und Mutter zweier Kinder, die im Oktober 2015 von ihrem Mann nach 15 Ehejahren per „Triple Talaq“ verlassen wurde. Auch Frauenorganisationen hatten gegen das Gesetz mobilgemacht, weil es in ihren Augen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Familienministerin Maneka Gandhi bezeichnete die Gerichtsentscheidung als „großen Schritt für die Frauen“.

Auch Premierminister Narendra Modi, der ebenfalls für eine Reform geworben hatte, sprach von einem „historischen“ Urteil. Mit seiner Gegnerschaft des Gesetzes bot sich der Führungskader der hinduistisch-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) den muslimischen Frauen als ungewöhnlicher Unterstützer an.

Debatte um Personenrechte

Angesichts des Urteils wird in Indien unter anderem die Frage debattiert, inwieweit sich der Staat in die Privatsphäre einmischen darf, und ob religiös begründete Personenrechte zeitgemäß sind. In Indien leben rund 180 Millionen Muslime; sie machen damit etwa 14 Prozent der rund 1,3 Milliarden Einwohner Indiens aus. Indien ist offiziell ein säkulares Land, erlaubt aber religiösen Institutionen ein Entscheidungsrecht in Fragen, die sich um Heirat und Scheidung drehen. Modi und seiner Hindu-Partei ist dieses Personenrecht ein Dorn im Auge, er will ein einheitliches Zivilrecht schaffen.

Klägerin Bano hofft nun, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts von der Gesellschaft akzeptiert wird. Und sie rief auf, das Urteil „nicht zu politisieren“. (som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2017)

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