Amnesty hört "Alarmglocken" bei Sagern über öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich

Annemarie Schlack, AI-Geschäftsführerin Österreich, präsentiert den Jahresbericht
Annemarie Schlack, AI-Geschäftsführerin Österreich, präsentiert den Jahresbericht Amnesty International Österreich
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Annemarie Schlack, AI-Geschäftsführerin in Österreich, nimmt den ORF gegen Kritik von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) in Schutz. Anlass: Präsentation des Jahresberichts von AI.

Wien. Amnesty International (AI) beklagt "dramatische Konsequenzen" einer "Rhetorik des Hasses" weltweit. Nicht nur in der Türkei oder Myanmar, sondern auch Regierungen in Europa "machen menschenrechtliche Errungenschaften" zunichte, warnte die AI-Geschäftsführerin Österreich, Annemarie Schlack, die am Mittwoch den AI-Jahresbericht vorstellte. Auch hierzulande ortete sie besorgniserregende Tendenzen.

Aber nur "ein paar Kilometer von hier" passiere etwas "Unglaubliches", zeigte sich Schlack mit Blick auf Ungarn besorgt. Erst am Dienstag hat das Parlament in Budapest Beratungen begonnen, das die Arbeit von zivilen Flüchtlingshelfern in dem Land massiv erschweren soll. Demnach sollen etwa Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge unterstützen, künftig eine Genehmigung des Innenministeriums benötigen, und könnten Einschränkungen ihrer Arbeit befürchten. Schlack fordert von der europäischen Gemeinschaft, diesem "Angriff auf die Zivilgesellschaft entschieden" entgegenzutreten. Amnesty habe bereits mit einem Solidaritätsappell, den mehr als 250 Organisationen weltweit unterzeichnet hätten, Protest kundgetan.

Kritik an Rückführungen nach Afghanistan

Österreich müsse die Entwicklungen im Nachbarland "sehr ernst" nehmen, forderte Schlack weiter. Aber auch die Bundesregierung wird in dem AI-Jahresbericht 2017/2018, der 159 Länder umfasst, wegen ihrer Migrationspolitik scharf kritisiert - insbesondere die Rückführungen nach Afghanistan, das laut einem AI-Bericht als nicht sicher gilt. Zudem würden sich Hinweise verdichten, dass die Abschiebungen auf einem "unwissenschaftlichen Gutachten" basieren würden. Bewahrheiten sich die Vorwürfe, so Schlack, müssten alle darauf begründeten Rückführungen nach Afghanistan wieder aufgerollt werden.

Aber die Migrationspolitik ist nicht das Einzige, was die AI-Geschäftsführerin Österreich kritisiert. Sie fürchtet um den "sozialen Zusammenhalt" hierzulande. Besorgniserregend, warnte Schlack, sei etwa das von der neuen Bundesregierung geplante Versammlungsgesetz, das offenbar "kritische Stimmen mundtot" machen soll. Nach inoffiziellen Plänen, die Amnesty vorlägen, soll es beispielsweise absolute Versammlungsverbote durch Verordnung im Vorhinein geben.

Nicht zuletzt gebe es in Österreich "Tendenzen, Institutionen abzuwerten, zu diskreditieren und anzugreifen, die eine wichtige Kontrollfunktion gegenüber den Mächtigen haben", kritisierte Schlack. Bei ihr würden die "Alarmglocken" läuten, wenn sie sehe, was "derzeit über den öffentlich-rechtlichen Journalismus in Österreich gesagt" werde, was über den Newsfeed von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) "flattert", oder wenn sie sich die Aussage "NGO-Wahnsinn" von dem heutigen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über die Flüchtlings-Rettungsversuche im Mittelmeer im vergangenen Jahr in Erinnerung rufe.

Das "Mundtotmachen" von kritischen Stimmen gehörten in der Türkei seit 2016 zur Tagesordnung. In keinem anderen Land auf der Welt seien mehr Journalisten (120) in Haft als dort, prangerte Schlack an. Die Freilassung des deutschen "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel wäre zwar ein "Erfolg" gewesen, gleichzeitig, betonte die AI-Geschäftsführerin Österreich, wurden aber wieder drei Journalisten in der Türkei verurteilt.

Einschüchterungen in Polen

Auch aus Polen würden Amnesty-Mitarbeiter über Einschüchterungen, Überwachungen und Angriffen auf friedliche Demonstranten berichten, zeigte sich Schlack besorgt. Der Kampf um die Meinungsfreiheit dürfte auf jeden Fall 2018 ein zentrales Thema sein.

Aber nichtsdestotrotz stellte Amnesty auch ein "wachsendes Engagement für Menschenrechte" fest. "Rückschrittliche Gesetze und Einschränkungen der Zivilgesellschaft" hätten auf der anderen Seite im vergangenen Jahr dafür gesorgt, "dass Menschen wieder auf die Straße gehen", zeigt sich Schlack mit Verweis auf Polen oder aber auch Österreich positiv, und sie fügt hinzu: "Wir müssen unsere Rechte einfordern."

In Richtung Bundesregierung forderte Schlack eine Garantie der Meinungsfreiheit sowie eine Reform des Asylgesetzes im Sinne der Schutzsuchenden. Bei dem geplanten Sicherheitspaket warnte sie: "Überwachung darf nie zum Selbstläufer werden" und "ein Bundestrojaner ist menschenrechtlich nie im Rahmen".

Für Umsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes

Schlack prangerte schlussendlich das Zögern der Regierung bei der Umsetzung des eigentlich für 1. Juli avisierten Erwachsenenschutzgesetzes an. Das Gesetz, das im Vorjahr von allen Parteien im Parlament einstimmig beschlossen wurde, sollte das 30 Jahre alte Sachwalterrecht ablösen und Menschen mit Behinderung mehr Autonomie bringen. Zuletzt hatte es jedoch Verwirrung um den Start und die Finanzierung des Gesetzes gegeben. Schlack sagte, dabei gehe es um Einsparung von "läppischen" neun Millionen Euro, und fügte hinzu: "Ich frage mich wirklich, für Pferde mit Blaulicht gibt es Geld, aber für diese Menschen nicht?"

(APA)

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