Pensionsreform: Die agilen Alten Russlands

Members of the Nekrasov Cossack community, who are descended from the Don Cossacks and are Orthodox Old Believers, carry Easter eggs and traditional bread during Easter Sunday in the settlement of Novokumsk
Members of the Nekrasov Cossack community, who are descended from the Don Cossacks and are Orthodox Old Believers, carry Easter eggs and traditional bread during Easter Sunday in the settlement of Novokumsk(c) REUTERS (Eduard Korniyenko)
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Die geplante Verlängerung des Erwerbslebens ist unpopulär, doch das russische Staats-TV verbreitet positive Stimmung.

Moskau. Die umstrittene Pensionsreform in Russland ist noch lange nicht beschlossen, doch schon gibt es die ersten Witze darüber. Es sind sehr trockene Witze. Einer geht so: Fragt der Enkel seinen klapprigen Großvater, der nach der neuen Ordnung mit 65 Jahren in Pension gegangen ist: „Warum habt ihr euch damals nicht gegen dieses ungerechte Gesetz gewehrt?“ – „Haben wir doch“, entgegnet dieser. „Wir liefen auf die Straße und schrieen Goooooooaaal!“

Die Fußball-WM, auf die sich auch der Witz bezieht, kann den Unmut über den Gesetzesvorschlag kaum abfedern. Laut den Plänen der Moskauer Regierung sollen Frauen künftig mit 63 Jahren und Männer mit 65 Jahren ihre Pension antreten – um acht Jahre später als derzeit. Zwar sind Übergangsfristen für Frauen bis 2034 und Männer bis 2028 geplant, trotzdem sind die Veränderungen einschneidend. Vor allem, wenn man die derzeitige Lebenserwartung der Russen einkalkuliert: Sie liegt für Frauen bei 77,6 und für Männer gar nur bei 67,5 Jahren.

Die Regierung argumentiert, dass die Lebenserwartung in den nächsten Jahren sukzessive steigen soll. Doch ob das auch wirklich eintritt, kann sie freilich nicht garantieren. Den Unterschriftensammlern und den angekündigten Protesten (darunter von Alexej Nawalny am 1. Juli) entgegnet man mit einer Aufklärungskampagne auf typische Kreml-Art: Die staatlichen Medien überschlagen sich mit Berichten über die Vorteile des verlängerten Erwerbslebens.

Arbeitsunwillige „meckernde Alte“

So behauptet in der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti etwa eine Psychologin, dass sich Menschen bei frühem Pensionsantritt schnell in „meckernde Alte“ verwandeln würden, die mit nichts zufrieden seien, obwohl sie noch in der Blüte ihrer Jahre stünden. Dem Negativbild der Arbeitsverweigerer wird der späte Pensionsantritt als Eintritt in ein erfülltes Altersleben dargestellt. Auch TV-Ideologe Dmitrij Kiseljow steuerte einen kreativen Gedanken bei: Die „sanfte“ und „längst überfällige“ Reform garantiere ein höheres Einkommen. Plötzlich ist das russische TV voll mit agilen, arbeitswilligen Alten – ein ungewohnter Anblick.

Die Stoßrichtung ist klar: Die Gesellschaft wird eingestimmt, Unmutspotenzial erhoben. Und sollte die Reform schließlich sanfter ausfallen, als derzeit geplant, wird das kollektive Aufatmen zu spüren sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2018)

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