Scotland Yard: Vergiftetes Paar fasste Nowitschok-Behälter an

Dawn Sturgess verstarb an den Folgen der Nowitschok-Vergiftung.
Dawn Sturgess verstarb an den Folgen der Nowitschok-Vergiftung.APA/AFP/GEOFF CADDICK
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Die 44-jährige Frau und ihr Lebensgefährte waren mit Vergiftungserscheinungen ins Salisbury District Hospital eingeliefert worden. Nach dem Tod der Frau ermittlet die Polizei nun wegen Mordes.

Im Fall des mit Nowitschok vergifteten britischen Paares geht die Polizei davon aus, dass die beiden einen Behälter mit dem Nervengift berührt haben müssen. Die Dosis des Kampfstoffes sei sehr hoch gewesen, teilte Scotland Yard am Montag in London mit.

Die 44 Jahre alte Frau und ihr 45 Jahre alter Partner waren Ende Juni mit Vergiftungserscheinungen in Amesbury gefunden worden. Die Frau starb am Sonntagabend im Salisbury District Hospital. Ihr Partner befand sich weiter in einem kritischen Zustand, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Polizei leitete nach eigenen Angaben noch am Abend Mordermittlungen ein. Untersucht werde unter anderem, ob es Verbindungen zum Fall Skripal gebe, hieß es.

Nach dem Tod der Frau hat die britische Polizei am Montag Mordermittlungen in dem mysteriösen Fall aufgenommen. Premierministerin Theresa May äußerte sich "entsetzt und schockiert" über das Schicksal der dreifachen Mutter Dawn Sturgess, die in einer Unterkunft für Obdachlose im südenglischen Salisbury gelebt hatte.

Polizei und Sicherheitskräfte täten ihr Bestes zur Aufklärung des beunruhigenden Vorfalls, versicherte May. Amesbury liegt nur unweit von Salisbury, wo im März mit dem Kampfstoff ein Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia verübt worden war. Beide überlebten.

"Regelmäßig Abfallbehälter durchsucht"

Der örtliche Parlamentsabgeordnete John Glen sagte der BBC, angesichts der Mordermittlungen seien viele Einwohner "beunruhigt". Sturgess und Rowley hätten "regelmäßig Abfallbehälter durchsucht"; möglicherweise seien sie dabei mit dem Gift in Kontakt gekommen.

Für den Leiter der britischen Terrorabwehr, Neil Basu, sind die Ermittler nach Sturgess' Tod noch motivierter, der "empörenden, rücksichtslosen und barbarischen Tat" auf die Spur zu kommen. Er fügte hinzu, dass der Zustand von Rowley "weiterhin kritisch" sei.

Christine Blanshard, die medizinische Direktorin des Salisbury District Hospitals, in dem die vier Opfer behandelt wurden, sagte der Zeitung "Daily Telegraph", das professionelle und engagierte Krankenhausteam habe alles versucht, um Sturgess zu retten.

Bewohner der mittlerweile geräumten Obdachlosenunterkunft zeigten sich erschüttert über die Nachricht vom Tod der Frau. "Das hätte mir oder meiner Partnerin genauso passieren können", sagte der 27-jährige Ben Jordan der Nachrichtenagentur AFP. "Wir sind wirklich, wirklich traurig. Ich bete für Charlie."

Weitere Gift-Kontakte?

Nicht ausgeschlossen wird, dass noch andere Menschen mit dem Gift in Kontakt kommen könnten, solange der kontaminierte Gegenstand im Fall des Paares nicht gefunden ist. Polizei und Gesundheitsbehörden versicherten jedoch, das Risiko für die Bevölkerung sei gering.

Bei einem Polizisten, der am Samstag wegen Verdachts auf Vergiftung im Krankenhaus von Salisbury untersucht worden war, konnte Entwarnung gegeben werden.

Die Ermittler gehen der Annahme nach, dass das vergiftete britische Paar mit Nowitschok-Resten in Kontakt kam, die beim Anschlag auf Skripal und seine Tochter übrig geblieben sein könnten. Die britische Regierung und ihre Verbündeten machen Russland für den Anschlag auf die beiden Skripals verantwortlich. Moskau weist das entschieden zurück.

Innenminister beschuldigt erneut Russland

"Es wird Zeit, dass Russland genau erklärt, was vorgefallen ist", hatte der britische Innenminister Sajid Javid am Donnerstag im Parlament gesagt. Es seien "Aktionen der russischen Regierung", die "bewusst oder zufällig" britische Bürger in Gefahr brächten.

Die Reaktion der russischen Regierung fiel scharf aus. Die britische Polizei solle die "dreckigen politischen Spiele mancher Kräfte in London" nicht mitmachen und "endlich" mit Russland zusammenarbeiten, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Sie forderte die britische Regierung zudem auf, sich bei Russland für die Vorwürfe zu entschuldigen.

Etwa hundert Anti-Terrorspezialisten sind mit den Ermittlungen befasst, die nach Polizeiangaben "Wochen und Monate" dauern können.

(APA/AFP)

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