Opferzahl in Genua steigt: Staatsanwalt bestätigt 42 Tote

Der grüne Lkw der Supermarkt-Kette Basko konnte vor der Bruchstelle anhalten.
Der grüne Lkw der Supermarkt-Kette Basko konnte vor der Bruchstelle anhalten.REUTERS
  • Drucken

Der Autobahnbetreiber betont, die Brücke vierteljährlich kontrolliert zu haben. Die Katastrophe lässt in Italien die Alarmglocken schrillen. Viele Brücken und Tunnel sind marode.

Die Stimmung auf dem großen Parkplatz eines Möbelhauses im italienischen Genua ist bedrückend. Immer wieder fahren Autos und Motorroller vor, auch mitten in der Nacht stehen Leute am Zaun. Von hier aus sieht man die Reste des Polcevera-Viadukts rechts und links - und die riesigen Trümmer in der Mitte.

Näher kommt man nicht heran, die Polizei hat den Ort des verheerenden Unglücks mit bisher 42 bestätigten Todesopfern weiträumig abgesperrt. Die Opferzahlen wurden am Mittwoch weiter nach oben korrigiert. Unter den Opfern seien auch drei Minderjährige im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren, hieß es. Der Präfektur zufolge gibt es 16 Verletzte, der Zustand von zwölf ist kritisch.

Innenminister Matteo Salvini machte am Dienstagabend eine mangelnde Instandhaltung der Brücke für das Unglück verantwortlich. Die Verantwortlichen müssten für das Desaster bezahlen, "alles bezahlen, teuer bezahlen", erklärte er. Der frühere Verkehrsminister Graziano Delrio sagte laut Nachrichtenagentur Ansa, es sei respektlos gegenüber den Opfern, politische Spekulationen aufzuwerfen.

Betreiber weist Vorwürfe zurück

Der Brücken-Betreiber Autrostrade hat den Vorwurf von Pflichtverletzungen bei der Überwachung des Bauwerkes zurückgewiesen. Man habe die Brücke auf vierteljährlicher Basis entsprechend den gesetzlichen Vorgaben kontrolliert, erklärte das Unternehmen am Mittwoch.

Man habe aber auch zusätzliche Prüfungen vorgenommen unter Nutzung modernster Technologien und der Hinzuziehung externen Expertenrates. Das Ergebnis dieser Kontrollen zum Zustand der Brücke sei Basis für das von der Regierung abgesegnete Wartungs- und Unterhaltungsprogramm gewesen.

Die Brücken-Katastrophe lässt in Italien die Alarmglocken schrillen. Laut der Tageszeitung "La Repubblica" sind um die 300 Brücken und Tunnel marode. Grund dafür seien die veraltete Infrastruktur und die lückenhafte Instandhaltung.

Fassungslosigkeit bei Augenzeugen

Die meisten Menschen, die auf den Parkplatz des Möbelhauses gekommen sind, blicken fassungslos in Richtung der Unglücksstelle. Andere schauen sich immer wieder auf ihren Handys Videos und Bilder der Katastrophe an.

Ein junger Mann namens Ismael zeigt Journalisten ein Video, das er selbst von der gerade eingestürzten Brücke gedreht hat. "Ich habe den Einsturz gesehen", wiederholt er immer wieder. Wie die meisten hier blickt auch er - meist schweigend und kopfschüttelnd - zu den Trümmern.

Von seinem Schlafzimmer aus habe er freien Blick auf das Viadukt gehabt - bis es mit einem lauten Knall in sich zusammen gefallen sei. "Mir war ganz schön bange, als das alles passiert ist." Auf seinem Handy zeigt er, wie das Viadukt vor wenigen Tagen ausgesehen hat.

Die Ruhe nach dem Sturm

Es sind Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, die sich Dienstagmittag in der italienischen Hafenstadt Genua abspielten. Während eines schweren Unwetters war das Polcevera-Viadukt - auch Morandi-Brücke genannt - auf der Autobahn A10 in mehr als 40 Metern Höhe auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Um die 30 Fahrzeuge waren zu der Zeit auf der Brücke unterwegs: Autos wurden in die Tiefe gerissen, Lastwagen stürzten in den Fluss Polcevera. Über den Tag stieg die Zahl der Toten stetig.

Nun, in der ersten Nacht nach dem erschütternden Unglück, dominiert Ruhe. Geredet wird wenig - und wenn, dann geht es oft um die unzähligen Fahrten, die hier jeder schon über diese Brücke unternommen hat. Er sei noch in der Früh darüber gefahren, wie jeden Tag, auf dem Weg zur Arbeit, sagt ein älterer Mann. Eine Stunde später sei sie eingestürzt. Er schüttelt den Kopf. "Das ist unglaublich."

"Ich bin immer wieder über die Brücke gefahren, für alles Mögliche, um meine Familie zu sehen, um zur Arbeit zu fahren", erzählt der 22 Jahre alte Dario auf dem Parkplatz. "Alle Genuesen sind über die Brücke gefahren. Es hätte jeden treffen können."

Suche dauert an

In der Ferne sind Baggergeräusche zu hören, die Einsatzkräfte suchen in der Nacht weiter in den Trümmern nach Überlebenden. Immer wieder kommen einige von ihnen auf ihrem Rückweg von der Unglücksstelle am Parkplatz vorbei, die Schutzhelme noch auf dem Kopf, die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Die Suche ist noch längst nicht beendet.

Kritik gab es an dem nun eingestürzten Polcevera-Viadukt wegen hoher Baukosten schon seit seiner Erbauung. Doch auch kostspielige Renovierungen sorgten immer wieder für Diskussionen. Die Brücke, die im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet führt, hat eine Gesamtlänge von 1182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren laut Betreibergesellschaft Autostrade per Italia Bauarbeiten im Gange.

APA

(APA/dpa/Fabian Nitschmann/Reuters)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Weltjournal

Touristen bleiben Genua nach Brückeneinsturz fern

Die Zahl der Hotelgäste hat sich nach dem Unglück mit 43 Personen halbiert. Viele Touristen wissen nicht, wie sie die Stadt mit dem Auto erreichen können.
Das Unternehmen "Autostrade per l'Italia" betrieb die Morandi-Brücke in Genua.
Weltjournal

Rom will alle Autobahn-Lizenzen prüfen

Nach dem Brückeneinsturz in Genua plant die Regierung, alle Instandhaltungsarbeiten auf dem italienischen Autobahnnetz zu kontrollieren.
Brückeneinsturz in Genua
Weltjournal

43 Minuten Stille für Opfer des Brückeneinsturzes in Genua

Die Fans des italienischen Fußball-Erstligisten CFC Genua haben den 43 Toten des verheerenden Brückeneinsturzes gedacht.
Trauer in Genua. Mindestens 43 Menschen sind beim Einsturz der Morandi-Brücke ums Leben gekommen. Die Stadt erholt sich nur schwer von dieser Katastrophe.
Weltjournal

Katastrophe in Genua: „Mein Sohn hat hier sein Leben riskiert“

Die italienische Stadt steht seit dem Einsturz der Morandi-Brücke unter Schock. Neben dem menschlichen Leid drohen nun auch massive wirtschaftliche Folgen.
Damit ist vorerst Schluss: Anrainer der Zone unter den Resten der Morandi-Brücke dürfen im Moment nichts aus den Wohnungen holen.
Weltjournal

"Geräusche" an den Brückenresten in Genua - Gebiet wird Sperrzone

Verdächtige Geräusche an den noch stehenden Brückenresten in Genua beenden alle Einsätze der Feuerwehr in den Bereichen. Bewohner der Häuser dürfen nun auch keine Gegenstände mehr aus ihren Wohnungen holen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.