Russland: Unfall mit experimentellem Atomflugkörper?

(c) REUTERS (STRINGER)
  • Drucken

Bei einer Explosion auf einem Militärgelände im Norden Russlands am Donnerstag starben sieben Menschen. In der Region maß man danach erhöhte Radioaktivität. Gerüchten zufolge gab es einen Unfall mit einem neuartigen Atom-Antrieb für Marschflugköper.

Hinter jenem Unfall auf dem Raketentestgelände Nyonoska bei Sewerodwinsk am Weißen Meer in Nordrussland, bei dem am Donnerstag nach jüngsten offiziellen Angaben vom Samstag mindestens sieben Menschen starben, könnte ein ungewöhnlich brisanter Hintergrund stehen.

Zuerst hatte es amtlicherseits geheißen, es sei bloß ein Flüssigkeitstriebwerk einer Rakete explodiert. Die Explosion steht außer Zweifel, sie wurde sogar von regionalen Sensoren der in Wien ansässigen Atomteststoppbehörde CTBTO registriert, siehe hier

Doch rasch folgten darauf Berichte über stark erhöhte Radioaktivität im Umland und darüber, dass Überlebende in eine Klinik für Strahlenopfer eingeliefert wurden und Bewohner von Sewerodwinsk und anderen Orten der Region in Apotheken Jodtabletten gekauft hätten: Sie blockieren die Aufnahme radioaktiver Jodisotope, wie sie in Atomreaktoren und bei Atomexplosionen entstehen.

„Isotopenkraftquelle"

Am Samstag gab die Atomenergiebehörde Rosatom dann an, in der Rakete sei eine „Isotopenkraftquelle" gewesen – also eine Nuklearbatterie oder ein Minireaktor. Das nährt nun vielfach im Westen Gerüchte, dass der Unfall bei einem Test des brandneuen, erst in Entwicklung befindlichen nuklear betriebenen (und letzlich wohl nuklear bewaffneten) Marschflugkörpers Burewestnik (Sturmvogel; Nato-Code: SSC-X-9 Skyfall) passiert ist.

Dieses Gerät, von dessen Entwicklung Russlands Präsident Wladimir Putin im Frühjar 2018 erstmals offen gesprochen hatte, hat als Energiequelle angeblich Radionuklidbatterien oder einen Kernreaktor. Geht man von früheren ähnlichen Konzepten aus, wird dadurch große Hitze erzeugt, diese Elemente ersetzen in Düsentriebwerken die klassische Verbrennungskammer, wo die zuvor verdichtete Luft erhitzt und nach hinten zur Ausdehnung gebracht wird. In diese nuklear „befeuerte" Verbrennungs- oder besser Erhitzungskammer muss man aber keinen konventionellen Flugtreibstoff einspritzen. So ein Objekt könnte daher theoretisch tage- bis wochenlang fliegen, prinzipiell noch länger, diversen Quellen zufolge auch mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit.

Das höllische „Project Pluto"

Ähnliche Pläne nuklear betriebener Flugzeuge und unbemannter Flugkörper gab es in der UdSSR und den USA in den 1950ern- und 1960ern, sie wurden aber verworfen. Einerseits wegen der technischen Schwierigkeiten, etwa der Abschirmung der Flugzeugbesatzung vor Strahlung und weil die Leistung solcher Triebwerke damals noch nicht durchwegs an jene konventioneller Motoren herankam. Letztlich erschienen allerdings Konzepte von Waffensystemen wie dem „Project Pluto", an dem die US-Atomenergiekommission und das Militär jahrelang feilten, selbst den Machern in ihrer Konsequenz zu fürchterlich.

Dabei ging es um einen flugzeuggroßen Marschflugkörper mit einem nuklearen Ramjet-Antrieb, der mit bis zu 16 Wasserstoffbomben an Bord im Tiefflug gegen die UdSSR geflogen wäre, bei Geschwindigkeiten von Mach drei bis fünf. Seine Bekämpfung war damals praktisch unmöglich.

NASA

Zum Abwurf von Bomben wäre er hochgestiegen, dann wieder in den Tiefflug übergegangen. Dabei hätten die von ihm ausgehenden Druck- und Schallwellen am Boden schwere Schäden erzeugt und der radioaktive Abluftstrahl hätte die Umgebung verseucht. Nach theoretisch mehreren Wochen Herumkreuzens wäre der Flugkörper irgendwann abgestürzt und hätte die weitere Gegend verstrahlt. 1964 wurden die Arbeiten an dieser wahrhaftigen Höllenmaschine gestoppt.

US Government

Ob der russische Burewestnik-Flugkörper auch einen verheerenden radioaktiven Abgasstrahl erzeugen würde, ist indes unbekannt. Ein zweiter, in den USA einst jedenfalls als Experimentalmodell schon gebauter Typ nuklearer Strahlantriebe sieht jedenfalls vor, dass die angesaugte Luft nicht direkt durch den Reaktor oder an den Batterien vorbei strömt, sondern getrennt davon an einem (immer noch extrem heißen) Kühlkreislauf. Das macht das System allerdings größer und schwerer und senkt dessen Leistung.

Angeblich schon vier Flugtests

Burewestnik ist laut Angaben westlicher Geheimdienste, die sich auch auf Aufklärungsdaten eines in der Region operierenden Spionage-U-Bootes der US-Marine stützen sollen, seit 2017 bereits vier Mal fliegend getestet worden - es ist allerdings unbekannt, ob in den Prototypen schon ein Atomantrieb installiert war oder ob man vorerst nur Feststoff- und Flüssigkeitsmotoren benutzte; solche dienen allerdings jedenfalls für die Startphase des Flugkörpers, um ihn auf eine hohe Geschwindigkeit zu bringen, damit der Ramjet (Staustrahlantrieb) erst einsetzen kann.

Es gibt sogar ein Video, das einen Skyfall-Teststart zeigen soll, dazu eine Fertigungshalle mit diesen Flugkörpern.

Die Flugweiten und -Zeiten bei den bisherigen Test sollen sehr gering gewesen sein, maximal etwa zwei Minuten oder 35 Kilometer.

Aufklärungserkenntnissen zufolge ist bei der Explosion auf dem Testgelände am Donnerstag übrigens das Spezialschiff „Serebrjanka" in der Nähe des Testgeländes gewesen. Es ist für den Transport radioaktiver Substanzen aller Art, von Atommüll bis hin zu Brennelementen, gebaut worden, und hatte sich bereits bei mindestens einem der bisherigen Burewestnik-Testflüge in der Nähe befunden. 

Alles in allem ist über den „Sturmvogel" aber noch viel zu wenig bekannt - und auch über die tatsächlichen Vorgänge auf dem betroffenen Testgelände in Nordrussland.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ein Bild aus der russischen Stadt Sewerodwinsk, die erhöhter Strahlung ausgesetzt war.
Außenpolitik

Russischer Wetterdienst: Explosion setzte Radioaktivität frei

Nach der Explosion eines Raketenmotors kam es zu einem Anstieg der Verstrahlung über einen längeren Zeitraum als bisher bekannt.
US-Präsident Donald Trump
Weltjournal

Trump nennt Explosion auf russischer Militärbasis lehrreich

Die USA "lernten viel" von dieser "Raketenexplosion", meint der US-Präsident. Sein Land würde über eine "ähnliche, wenngleich mehr entwickelte" Technologie verfügen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.