Erdbeben in Italien: "Region in die Knie gezwungen"

Ein zerstörtes Haus in Cavezzo.
Ein zerstörtes Haus in Cavezzo.(c) EPA (Elisabetta Baracchi)
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Nachbeben lassen die Erdbebengebiete in der Emilia Romagna und anderen Regionen weiter erzittern. Der Schaden weitet sich aus.

Das Monster ist immer noch hellwach. Tag und Nacht entladen sich seine Kräfte und versetzen die Menschen in Norditalien in Angst. In der Region Emilia Romagna wurden auch in der Nacht auf Freitag noch weitere Nachbeben registriert, wenngleich schwache, mit Stärken bis 2,9 auf der Richterskala, meldete das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie.

Präsident Giorgio Napolitano hatte tags zuvor die vom Beben Ende Mai betroffenen Orte besucht und Hilfe beim Wiederaufbau versprochen. Er traf auch in Zeltlagern und Schulen untergebrachte Obdachlose und zeigte sich überzeugt, dass sich die Emilia Romagna so wie einst die norditalienische Region Friaul nach dem schweren Beben von 1976 bald erholen werde. Besonders wichtig sei die Wiederaufnahme der Industrieproduktion: man müsse die Abwanderung von Unternehmen verhindern.

24 Menschen kamen in den Beben der vergangenen Wochen um, 14.000 verloren ihre Häuser. Überall in der Emilia-Romagna begutachten Experten die Schäden, es wird lange dauern bis klar ist, welche Häuser wieder bezogen werden können und welche man abreißen muss – das gilt auch für die vielen Kirchen und historischen Bauten.

Gastarbeiter geben auf

Vor allem aber traf das „Monster“ die Region ökonomisch: Sie ist Teil des wirtschaftlichen Herzens Italiens, berühmt für viele Produkte „Made in Italy“, vom Aceto balsamico bis zum Parmigiano. Ein Prozent von Italiens BIP wird in der flachen, fruchtbaren Ebene zwischen Apennin und Alpen, zwischen Ferrara, Modena und Mantua erwirtschaftet. Doch Industriebauten und Lager stürzten ein, weil sie billig und nicht erdbebensicher gebaut waren. Dort kamen die meisten Menschen um.

Besonders litten unter dem Beben die, die auch sonst kaum Schutz haben in Italien: die tausenden Gastarbeiter aus Nordafrika und Asien, ohne die Italiens Wirtschaft kollabieren würde. Sie, die „Extracomunitari“, arbeiten auf Feldern und Fabriken oft zu Hungerlöhnen und ohne sichere Verträge. Viele kamen trotz der Gefahr zur Arbeit, aus Angst, sie sonst zu verlieren; etliche verloren dafür ihr Leben. So wie Kumar Pawan aus Pakistan, er hinterließ zwei Kinder und erschütterte Landsleute. Auf einem Feld versammelten sie sich jüngst zum Gebet. Viele wollen nach Hause. Auch hunderte Marokkaner kehrten zuletzt nach Nordafrika zurück.

Tausende Betriebe in der Emilia-Romagna sind geschlossen, mindestens 20.000 Arbeitsplätze betroffen. Die Schäden betragen vorerst mindestens fünf Milliarden Euro, die Regierung eiste weitere Nothilfen los, doch fürchtet, dass sie ob der hohen Kosten für den Wiederaufbau ihr mit der EU vereinbartes Ziel, bis 2013 ein ausgeglichenes Budget vorzulegen, nicht wird einhalten können.

„Eine ganze Region wurde in die Knie gezwungen“, sagt Giorgio Squinzi, der neue Präsident des Industriellenverbandes „Confindustria“. Mindestens vier Monate werde es dauern, bis die Produktion wieder halbwegs abläuft. Auch der Landwirtschaftsverband „Coldiretti“ ist schockiert, die Schäden belaufen sich auf mindestens 500 Millionen Euro. Fast eine Million Laibe Parmesan und Grana Padano wurden beschädigt, allein das schlägt mit 220 Mio. Euro zu Buche; angeblich müssen die meisten Käseräder zu billigem Schmelzkäse verarbeitet werden.

Stornos im Tourismusgeschäft

Im Tourismus treffen erste Stornierungen ein, obwohl das Beben überwiegend kleinere Städte traf, die nicht zu den Hauptsehenswürdigkeiten zählen. Die Präsidenten der Regionen Emilia-Romagna, Friaul und Venetien sahen sich genötigt, potenzielle Gäste zu beruhigen: Sicherheit und Qualität der touristischen Infrastruktur an den Küsten seien unverändert.

Derweil grummelt das Monster in der Erde weiter, vielleicht monatelang. Und Italien diskutiert wieder einmal, was zu tun ist, damit es nicht mehr solche Schäden anrichten kann. „Italien ist ein stark erdbebengefährdetes Land“, sagt Umweltminister Corrado Clini. „Es müssen sofort Maßnahmen für die Sicherheit der Gebäude ergriffen werden.“ Die Regierung will einen Sicherheitsplan verabschieden, mindestens 40 Mrd. Euro sind dafür notwendig. Doch bis er umgesetzt ist, könnten 15 Jahre vergehen.

Auf einen Blick

Zwei Erdbeben mit Magnituden von 5,8 und 5,9 nach Richter erschütterten Ende Mai im Abstand von rund einer Woche Norditalien, vor allem die Region Emilia-Romagna in der südlichen Poebene. In einstürzenden Gebäuden und Lagerhallen starben 24 Menschen, mehr als 14.000 mussten aus ihren Häusern ausziehen. Die Region ist eine der wirtschaftlich stärksten Italiens, etwa ob der Käseproduktion; nun sind tausende Betriebe geschlossen, die Schäden betragen bereits mindestens fünf Milliarden Euro, Tendenz steigend wegen des Umsatzausfalls.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2012)

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