Föderales Chaos bei Tagesmüttern

Foederales Chaos Tagesmuettern
Foederales Chaos Tagesmuettern(c) NÖ Hilfswerk
  • Drucken

Österreichs Tagesmütter müssen zwischen 60 und 475 Stunden in ihre Ausbildung stecken - je nachdem, in welchem Bundesland sie leben.

Wien. Nirgendwo in Österreich kann man schneller Tagesmutter werden als in Wien. Während in der Steiermark eine Ausbildung von 475 Stunden notwendig ist, damit man den Beruf ausüben darf, reichen in der Bundeshauptstadt 60 Ausbildungseinheiten. In Salzburg sind 172 Einheiten das Minimum, in Kärnten 320. Gibt es einen vernünftigen Grund, warum die gleiche Ausbildung in einem Bundesland achtmal so lange dauert wie in einem anderen?

Eigentlich nicht, denn von Erster Hilfe über Entwicklungspsychologie bis Kommunikation müssen alle relevanten Themen zumindest gestreift werden. Schließlich sollen Tagesmütter (und -väter, doch davon gibt es nur sehr wenige) Kleinkinder kompetent in ihrer Gesamtentwicklung begleiten und fördern. Wer je versucht hat, mehrere Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren zu beaufsichtigen, weiß: Das ist wahrlich keine leichte Aufgabe.

Die eklatanten Qualitätsunterschiede will das Familienministerium durch ein Gütesiegel für Ausbildungsstätten mildern, das vor einem Jahr eingeführt wurde. Es verlangt 300 Ausbildungseinheiten und soll „Eltern die Gewissheit geben, dass ihre Kinder von einer qualitativ gut ausgebildeten Person betreut werden“, wie ÖVP-Minister Reinhold Mitterlehner damals erklärte. Es wurden im ersten Jahr allerdings nur acht von 37 Lehrgängen vergeben, wie die aktuelle Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zeigt: einer in Kärnten, zwei in Salzburg, drei in der Steiermark und zwei in Tirol. Auffällig: Wien ging dabei leer aus.

Die schiefe Optik ist in der Gesetzgebung begründet. Denn die Ausbildung der Tageseltern ist fest in der Hand der Länder, und für die ist Quantität teils wichtiger als Qualität. Wien etwa hat 60 Stunden Ausbildung festgelegt, als der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen sehr groß war. Das bedeutet freilich nicht, dass die Tagesmütter in der Hauptstadt schlechter sind als die auf dem Land. Nur müssen sie sich Kompetenzen Schritt für Schritt selbst erarbeiten oder auf Fortbildungen warten, denn ihre Ausbildung reicht lediglich für ein oberflächliches Bekanntwerden mit den vielen Themen.

Die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern sind für BZÖ-Familiensprecherin Ursula Haubner „untragbare Zustände, die sofort beseitigt werden müssen“. Sie hält das Gütesiegel des Ministeriums für „eine reine Schönfärbeaktion“ und fordert ein rasches bundeseinheitliches Rahmengesetz für Ausbildung und Bezahlung von Tageseltern. Doch auch, wenn das Ministerium Tageseltern als „unverzichtbares Standbein“ der Kinderbetreuung betrachtet, arbeitet man nicht an einer Gesetzesänderung: Es sei „völlig aussichtslos“, dass die Länder freiwillig Kompetenzen abgeben würden.

„Sechzig Einheiten reichen nicht“

Die Institutionen hoffen unterdessen darauf, dass die Bundesländer selbst die Qualitätskriterien anheben. „Ich glaube nicht, dass sechzig Einheiten zur Ausbildung reichen“, sagt Elvira Tomancok, Geschäftsführerin der „Kinderdrehscheibe“. Ihre Institution bildet die meisten Tagesmütter in Wien aus, wie sie sagt, und gestaltet ihre Kurse auch anspruchsvoller als andere Institutionen. Statt der 60 Einheiten, die zur Berufsbefähigung ausreichen würden, müssen dort 120 absolviert werden. Allerdings sei es nicht immer einfach, bei diesen Anforderungen auch genügend Interessenten zu finden: „Ich halte sehr viel vom Qualitätssiegel, und auch wir werden einen Lehrgang dafür einreichen“, sagt Tomancok. Doch das sei erst sinnvoll, wenn eine erweiterte Ausbildung gesetzlich erforderlich werde. Denn wie soll sie künftige Tagesmütter davon überzeugen, eine Ausbildung zu machen, die fünfmal länger dauere als bei anderen Anbietern in Wien?

Tomancok ist aber optimistisch: „Ich glaube, dass die Stadtregierung das Gesetz ändern wird.“ Denn Wien hat das sogenannte Barcelona-Ziel – eine EU-Vorgabe – erreicht: 33 Prozent der unter Dreijährigen haben einen Betreuungsplatz. „Es sind genügend Betreuungsplätze vorhanden. Jetzt kann man an der Qualität arbeiten.“ Ob die Stadt Wien diesem Argument folgen wird, bleibt offen.

Auf einen Blick

Das Gütesiegel „Ausbildungslehrgänge für Tagesmütter/-väter“ wird seit einem Jahr vom Familienministerium verliehen. Bisher haben es acht Organisationen erhalten, die einem Curriculum-Vorschlag mit 300 Unterrichtseinheiten in Theorie und Praxis folgen. Die Mindestanforderungen der Bundesländer sind höchst unterschiedlich: In Wien sind Tageseltern schon nach 60 Stunden Ausbildung berufsfähig, in Salzburg nach 172, in Kärnten nach 320 und in der Steiermark nach 475.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.