Stoisits: „Traumata nicht in der Klasse bewältigen“

Terezija Stoisits
Terezija Stoisits(c) APA (Helmut Fohringer)
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Das Schulsystem hat flexibel zu sein, was Aufnahme von Flüchtlingen angeht, sagt Beauftragte Terezija Stoisits.

Die Presse: Kurz vor Schulbeginn ist noch unklar, wie viele Flüchtlingskinder an jeden Schulstandort kommen. Wie viel Flexibilität erwarten Sie von den Schulen?

Terezija Stoisits: Jedes Kind in Österreich ist schulpflichtig und wird in die Schule gehen. Das österreichische Schulsystem ist flexibel und hat flexibel zu sein. Es werden keine Flüchtlingskinder in Österreich auf der Straße sein, sondern sie werden eingeschult.

Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen, wenn am Montag zuerst einmal im Osten des Landes die Schule anfängt?

Die größte Herausforderung ist, dass jene geflüchteten Kinder, die jetzt zum ersten Mal in die Schule kommen, einen möglichst optimalen Start haben. Die haben in der Regel außergewöhnliche Dinge erlebt, die sind ja nicht mit dem Flugzeug in Österreich gelandet. Die Schule ist nach langer Zeit der erste Ort, der ihnen Stabilität und Normalität bietet. Wir wollen den Kindern einen geschützten Ort bieten. Das ist die Hauptsache.

Kann das Ministerium den Schulen jenes Personal anbieten, das sie brauchen, um traumatisierte Kinder zu betreuen?

Ich kann Ihnen sagen, wie die Ressourcen, die es jetzt gibt, darauf reagieren. Natürlich wird sich die Schulpsychologie jetzt verstärkt mit der Situation auseinandersetzen. Traumabewältigung kann nicht in der Klasse geschehen. Aber es ist ja auch nicht das erste Mal Schulbeginn und nicht das erste Mal, dass es Flüchtlingskinder in Österreich gibt. Im System Schule gibt es sehr viel Know-how, auf das man zurückgreifen kann.

Trotzdem stellen viele – etwa die Lehrervertreter und Schülervertreter – die Frage: Wird es mehr Ressourcen geben?

Möglicherweise wird man über mehr Ressourcen reden müssen. Aber das ist eine Frage, die die Ministerin beantwortet und nicht ich. Meine Aufgabe ist es, zu koordinieren und eine Nahtstelle zwischen den Landesschulräten, dem Ministerium und den Hilfsorganisationen zu sein, in deren Quartieren ja viele der Schulkinder untergebracht sind. Wir hören, was an uns herangetragen wird, wir müssen auch wissen, wo was klappt.

Sie sollen Best-Practice-Beispiele für den Umgang mit schulpflichtigen Flüchtlingen sammeln. Was wäre für Sie denn konkret ein solches Vorzeigebeispiel?

Ich habe keine Liste vorbereitet. Aber es passieren wahnsinnig viele Dinge. Wir haben eine Broschüre herausgegeben, damit Lehrerinnen und Lehrer wissen, an wen sie sich zu dem Thema wenden können. Da, wo es um Flucht geht, werden wir die Materialien für die Politische Bildung überarbeiten, weil sich da ja mit dem Krieg in Syrien vieles geändert hat. An Pädagogischen Hochschulen werden Projekte gestartet, in denen es darum geht, wie man mit den Kindern umgeht.

Von eigenen Klassen für die Flüchtlingskinder halten Sie nicht viel. In Wien werden Deutschkurse angeboten, die man offiziell nicht Klassen nennen darf. Trotzdem: Widerspricht das nicht Ihrer Sicht?

Es ist aus pädagogischer Sicht nicht sinnvoll, dass Flüchtlingskinder in eigenen Klassen unterrichtet werden. Und das gibt es auch in Wien nicht. Es gibt eine spezielle Förderung der Sprache – die brauchen Kinder mit anderen Muttersprachen natürlich. Aber nicht in eigenen Klassen. Am meisten und am besten lernen Kinder Deutsch, wenn sie in der Normalität der Schule sind. Der erste Lehrer ist der Mitschüler.

Deutschland stellt jetzt mehr als 3000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer an, die den Flüchtlingskindern Deutsch beibringen sollen. Wie sieht es in Österreich aus?

Wenn sich zeigt, dass die Mittel nicht ausreichen, dann ist das eine Frage der zusätzlichen Ressourcen, die auf politischer Ebene geklärt werden muss. Ich bin dazu da, aufzunehmen, wo es Probleme gibt, welche Vorschläge es gibt.

Haben Sie schon eine Liste für Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek angefangen, auf der steht, was es alles an zusätzlichen Mitteln brauchen wird, um die Herausforderungen – von der Sprache bis zur psychologischen Betreuung – zu meistern?

Ich schreibe der Ministerin keinen Block mit Zahlen. Ich rechne nicht, sondern ich berichte darüber, was ich zu dem Thema in Erfahrung bringe. Daraus die Schlüsse zu ziehen, ist dann Aufgabe der Politik.

ZUR PERSON

Terezija Stoisits (56) ist neue Beauftragte für schulpflichtige Flüchtlinge im Bildungsministerium. Das gab Ressortchefin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) am Dienstag bekannt. Die langjährige grüne Abgeordnete ist seit ihrem Ausstieg aus der Politik 2013 wieder im Bildungsministerium tätig, zuletzt als Koordinatorin für Menschenrechte. In den 1980er-Jahren hatte die Juristin dort ihre Karriere gestartet. Im Parlament befasste sich die Burgenlandkroatin mit Minderheiten, Menschenrechten und Migration.

In ihrer neuen Funktion soll Stoisits im Bildungsministerium zwischen den Landesschulräten und den NGOs koordinierend wirken. Außerdem soll sie Vorzeigeprojekte identifizieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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