Oxford-Forscherin: "Guter Kindergarten ist ein Schutz"

(c) Clemens Fabry
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Ohne den Besuch eines Kindergartens bleiben benachteiligte Kinder in der Volksschule zurück. Positive Effekte hat frühe Bildung aber sogar bis zum Alter von 16 Jahren.

Wien. Wer im Kindergarten war, der hat später im Schnitt bessere Schulleistungen. Und zwar nicht nur in der Volksschule – sondern sogar noch mehr als zehn Jahre nach dem Kindergarten. „Das hat uns selbst überrascht“, sagt die Bildungsforscherin Kathy Sylva, die an der britischen Oxford University seit 30 Jahren über frühkindliche Bildung forscht. „Wir hatten angenommen, dass der Kindergartenbesuch wohl für die Volksschulleistungen relevant sei. Aber auch bei den 16-jährigen Schülern ist noch ein Effekt erkennbar.“

Ähnliches hat unlängst die jährliche Bildungsstudie der OECD gezeigt: Demnach ist es halb so wahrscheinlich, dass 15-Jährige schlecht in Mathematik sind, wenn sie zwei Jahre im Kindergarten waren. SylvasStudie ist allerdings noch einiges detaillierter – und berücksichtigt unter anderem den sozialen Hintergrund der Kinder und die Qualität des Kindergartens. Diese ist nämlich zentral.

Doch von vorn: Wie sehr die frühkindliche Bildung die spätere Entwicklung formt, hat die in Harvard ausgebildete Bildungspsychologin in einer der wohl umfangreichsten Längsschnittstudien zu dem Thema herausgefunden, die sie kommende Woche in Wien vorstellen wird (siehe Faktenkasten). Seit 19 Jahren untersucht sie mit ihrem Team den Werdegang von rund 3000 englischen Kindern. Demnach wirkt sich der Besuch eines Kindergartens erheblich auf die späteren Schulleistungen aus – vor allem bei Kindern aus armen oder wenig gebildeten Familien.

Kinder, die nur das in England verpflichtende letzte Kindergartenjahr ab dem Alter von fünf Jahren absolviert haben, das an der Schule stattfindet, sind im Lesen demnach signifikant schlechter als jene, die schon mit drei Jahren im Kindergarten waren. Besonders dramatisch ist der Effekt bei Kindern aus wenig gebildeten Familien: Ohne Kindergarten bleiben sie mit sieben Jahren durchschnittlich sogar unter dem Mindestlevel, das erreicht werden sollte, um in der dritten Volksschulklasse mitzukommen.

Schickt man Kinder aus armen oder wenig gebildeten Familien nicht in den Kindergarten, schleppen sie noch lang einen Rucksack mit. „Das ist so, als würde man ihnen für den Rest der Volksschule die Hände hinter dem Rücken fesseln“, formulierte es die Forscherin einst in einer britischen Zeitung. Waren benachteiligte Kinder dagegen schon mit drei Jahren im Kindergarten, schaffen sie als Siebenjährige beim Lesen das Mindestlevel – und haben ganz andere Voraussetzungen für die weiteren Schuljahre.

Guter Kindergarten wirkt

„Der Kindergarten kompensiert die schlechteren Startbedingungen von Kindern aus wenig gebildeten Familien“, sagt Sylva im Gespräch mit der „Presse“. Dabei kommt es aber auch darauf an, wie gut der Kindergarten ist: Ist die pädagogische Qualität des Kindergartens hoch, dann ist der positive Effekt auf die Mathematik- und Englischleistungen später, bei den Elfjährigen, drei Mal so groß. „Wenn ein Kind in einen wirklich guten Kindergarten geht, ist das ein Schutz gegen eine nicht so gute Volksschule.“

Für die erforderliche pädagogische Qualität gibt es viele Faktoren: wie sehr die Kinder zum Beispiel zum Lesen animiert werden, wie mit ihnen Neues herausgefunden wird und Ähnliches. Zentral ist aber, worüber auch in Österreich immer gestritten wird: die Ausbildung des Personals. „Den besten Start in die Schule hatten jene Kinder, deren Kindergartenpädagogen an der Universität studiert hatten.“

Die Effekte des Kindergartenbesuchs reichen aber eben weit über den Schulstart und die ersten Lernjahre hinaus. Jene Schüler, die schon früher im Kindergarten waren, schnitten demnach beim GCSE, der wichtigsten Abschlussprüfung der Mittelschule, immer noch leicht besser als andere Schüler ab. „Natürlich verliert der Kindergartenbesuch mit jedem weiteren Jahr an Bedeutung, weil andere Bildungsmaßnahmen Wirkung zeigen“, sagt Sylva. „Aber der Effekt ist noch da und statistisch relevant.“

Ein zweites verpflichtendes und kostenloses Kindergartenjahr, wie es in Österreich diskutiert wird, wäre demnach eine weise Investition, meint die Forscherin. „Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass die zwei Kindergartenjahre im Alter von drei und vier Jahren sehr wichtig sind.“ Vor allem für Kinder aus armen Familien hat es auch einen Vorteil, noch früher in den Kindergarten zu gehen.

AUF EINEN BLICK


Kathy Sylva forscht seit 30 Jahren an der Oxford University zum Thema frühkindliche Bildung. 1997 startete eine Längsschnittstudie, bei der die Entwicklung von Kindern ab drei Jahren regelmäßig überprüft wurde. [ Privat ]

Veranstaltung. Sylva wird Gast bei der Veranstaltung „Fit für die Vielfalt“ am Donnerstag, 20. Oktober, die ein Konsortium aus u.a. AK und IV organisiert, sein. 16.30 Uhr, Technisch Gewerbliche Abendschule, 1040 Wien. Anmeldung unter: veranstaltungenbp@akwien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

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