Indianer und Wilde: Fremd im Schulbuch

(c) Clemens Fabry
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„Sterbende Indianer“, „Buschmänner“ und „primitive Völkerstämme“, der Zugang zu anderen in österreichischen Schulbüchern. Der österreichischen Migrationsgeschichte wird in den letzten Jahren vermehrt Platz eingeräumt.

Wien. „Indianer, musst du sterben?“ Dieser Zwischentitel in einem Geografiebuch für die 5.Schulstufe steht symptomatisch für einen Umgang mit „den anderen“, der zum Teil noch immer in unseren Schulen verbreitet ist. Der von Europäern geprägte Begriff „Indianer“, der aus einer Verwechslung Amerikas mit Indien beruht, wird dabei oft abwertend verwendet.

Die Frage, ob der „Indianer“ nun sterben müsse, wird im Text implizit mit Ja beantwortet, so das Ergebnis einer Analyse der Sozialanthropologinnen Heidi Weinhäupl und Christa Markom. Sie überprüften die am häufigsten verwendeten Schulbücher auf Rassismus, Exotismus, Sexismus und Antisemitismus.

Indigene als Primitive

Im Fall dieses Schulbuchtextes, so die Autorinnen, werde ein evolutionistisches Geschichtsbild produziert, Indigene würden quasi auf einer früheren Stufe der Menschheitsgeschichte ansiedelt. Die Zerstörer des Lebensraumes werden nicht explizit genannt (Ressourcen „werden ausgebeutet“), verantwortlich für die mangelnde Resistenz gegen eingeschleppte Krankheiten sind die Indigenen selbst. Indigenen Widerstandsbewegungen, wie sie zum Beispiel im Amazonas existieren, wird kein Platz eingeräumt.

„Hier gibt es auch positive Beispiele – manche Schulbücher schaffen es durchaus, indigene Kulturen in der Jetztzeit zu zeigen, wie und ob sie eine Schule besuchen können oder medizinisch versorgt sind“, erklären die Forscherinnen.

In einigen der analysierten Schulbücher aus den Jahren 2005 bis 2007 ist nach wie vor von „primitiven Völkern“ die Rede. Und auch Begriffe wie „Pygmäe“, „Eskimo“, „Buschmann“ und „Kopfjäger“ werden benutzt.

Afrika wird homogen dargestellt

Beim Thema Afrika stehen vor allem Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen im Vordergrund. Demokratische Widerstandsbewegungen in afrikanischen Staaten werden ebenso ausgeblendet wie friedliche Strukturen. Auch wenn Bürgerkriege und Völkermord nicht verharmlost werden sollen, wird in einer extremen Sprache von ihnen gesprochen. Es ist die Rede von „blutigen Gefechten“, „blutigen Vernichtungskriegen“ und „blutigen Fehden zwischen den Stämmen“.

Afrika wird – viel stärker als etwa Asien – homogen dargestellt, der Vielfalt wird kein Schulbuch gerecht. „Dabei sollten doch die Bücher Integration fördern, das ist eine der größten Aufgaben des Bildungswesens“, meint der Pädagoge und Autor Babátólá Alóba, der seit einem Jahrzehnt Projekte und Workshops mit Vorschul- und Pflichtschulkindern leitet. „Vor allem in jungen Jahren kommt es darauf an, die Begegnung der Kulturen zu begünstigen, damit die klischeehafte und neokolonialistische Darstellung von Afrika und ihren Bewohnern durch ein realistisches und differenziertes Bild ersetzt werden kann.“

Wichtig ist dabei allerdings auch die Sprachkompetenz in der eigenen Muttersprache, „denn viele Afrikaner kennen nur die europäische Sprache, in der sie unterrichtet wurden, egal ob hier oder in einer der Ex-Kolonien“. Daher möchte der aus Nigeria stammende Autor ein Deutsch-Yorùbá-Wörterbuch herausgeben – die Sprache wird in Westafrika von mehr als 20 Millionen Menschen gesprochen. Dies sollte ein Schritt sein, der die Identität und auch die Konstruktion der Afrikaner in Westeuropa verändert.

Christiane Hintermann, die seit den 1970ern zur Darstellung der österreichischen Migrationsgeschichte in Schulbüchern forscht, betont eine Veränderung der Sprache über die Jahrzehnte. War in den Siebzigern noch von „Fremdarbeitern“ die Rede, wird heute von „Schülern mit Migrationshintergrund“ gesprochen. Die Sprache der Schulbücher habe sich jener der Gesellschaft angepasst und stehe in Zusammenhang mit dem öffentlich-medialen Diskurs.

Der österreichischen Migrationsgeschichte, die in Geschichte-Schulbüchern der AHS Oberstufe bis in die 1980er-Jahre hinein gar nicht erwähnt wurde, wird in den letzten Jahren vermehrt Platz eingeräumt. Wichtig ist allerdings weniger, ob und wie oft das Thema vorkommt, sondern wie. Immerhin, hier habe sich viel verändert: Die Geschichten sind vielfältiger, Darstellung und Sprache sind sensibler geworden, kritische Themen werden vermehrt aufgenommen und stärker hinterfragt.

Auf die Lehrer kommt es an

Schulbücher allein entscheiden allerdings nicht darüber, wie sich Schüler mit den Themen Integration, Migration und anderen Kulturen beschäftigen. Denn obwohl Schulbücher einen Einstieg in die kritische Auseinandersetzung bieten können, kommt es letztlich vor allem darauf an, wie die Lehrer diese Themen vermitteln.

Tipps

Die Anderen im Schulbuch. Von Christa Markom und Heidi Weinhäupl, Braumüller 2007

Migration and Memory. Von Christiane Hintermann und Christina Johansson. Studienverlag 2010

„Warum?“ Geschichten aus Afrika mit Babátólá Alóba. Mi, 23. März, 15 Uhr, Hauptbücherei, 1070 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2011)

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