Zentralmatura: Voreiliges Handeln ist fehl am Platz

Appell an die Unterrichtsministerin: Lieber etwas mehr Zeit auf dem Weg zur goldenen Mitte als eine unzulängliche Lösung!

Die Grundidee der „kompetenzorientierten, teilzentralen Reifeprüfung“ – die derzeitige Matura aufzuwerten – halte ich für überaus positiv und auch für dringend notwendig. Doch bei der geplanten Ausführung kommen Zweifel auf. So frage ich mich: Wie ist es möglich, dass Schüler eines BORG mit gerade einmal zwei bis drei Wochenstunden im Fach Mathematik denselben Anforderungen gerecht werden müssen wie Schüler eines Realgymnasiums mit bis zu fünf Wochenstunden? Entweder die zentralen Anforderungen werden an die Möglichkeiten der BORG angepasst, was wiederum das Niveau der neuen Reifeprüfung herabsetzen würde, oder ein gewisser Teil der Maturanten wird vor eine schier unlösbare Aufgabe gestellt.

Die österreichischen Schulformen haben unterschiedliche Schwerpunkte und verschiedene Stundentafeln. Hier einen Mittelweg zu finden bedarf einer langen Reifephase mit zahlreichen Testungen und auch der Miteinbeziehung der Wünsche und Meinungen der betroffenen SchülerInnen und LehrerInnen. Mein Appell an die Bildungsministerin: Voreiliges und überhastetes Handeln ist hier fehl am Platz! Lieber etwas mehr Zeit auf dem Weg zur goldenen Mitte als eine unzulängliche Lösung, so die Devise. Allenfalls ist es auch der persönlichen Wunsch, die neue Matura noch in der eigenen Amtszeit einzuführen, der Sie zu voreiligen Schlüssen zwingt. Doch das wäre über alles unpolitisch und inkorrekt, und so möchte ich Ihnen das erst gar nicht vorwerfen.

Ein Lösungsvorschlag wäre, die Zentralmatura nicht einfach flächendeckend gleich, sondern schulformspezifisch einzuführen. Also eine eigene Reifeprüfung für jede Schulform, sei es ein wirtschaftskundliches Gymnasium oder ein Oberstufenrealgymnasium. So würden Unterschiede ausgeglichen, und auf die Schwerpunkte könnte besser eingegangen werden. Durch die Kompetenzorientierung der Zentralmatura ist das Stoffgebiet ein völlig anderes. Selbst LehrerInnen haben nicht die leiseste Ahnung vom tatsächlich Gefragten. Demnach ist es ihnen nun nicht mehr möglich, ihre Schüler punktuell auf bestimmte Themen vorzubereiten. Sie müssen eine größere Bandbreite in derselben Zeit vermitteln. Das Unterrichtstempo wird stetig schneller, die Arbeitshaltung hektischer – zwei kontraproduktive Effekte. Selbst die Lehrbücher sind erst zum Teil auf das neue Grundwissen abgestimmt, und auch Schularbeiten und Lehrmethoden müssen angepasst werden. Alles Teile eines langwierigen Prozesses, der Zeit und entsprechende Entwicklung benötigt.

Abschließend ein kleiner Trost für alle verunsicherten Schüler des ersten Zentralmaturajahrgangs: Die Entwicklung der neuen Reifeprüfung kostete Unmengen an Steuergeldern. Ein schlechtes Ergebnis wäre ein Fauxpas für die Politik. So, denke ich, wird zumindest die allererste zentrale Reifeprüfung nicht allzu schwierig sein.


E-Mails an: bildung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.