Kompetenter Ungeist

Kompetenter Ungeist
Kompetenter Ungeist(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
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Gastkommentar. Wir sind zu feige geworden, um uns noch zu geistigen Inhalten zu bekennen, die einen Wert an sich darstellen. Anmerkungen zu einem Paradigmenwechsel.

Verfolgt man das, was gerne „Bildungsdebatte“ genannt wird, ist man vorab erstaunt von den nervösen, ja martialischen Tönen, die angeschlagen werden. Seit Philosoph Georg Picht in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die deutsche „Bildungskatastrophe“ ausgerufen hat, scheint Bildung etwas zu sein, das Menschen in Notsituationen bringt und Angstzustände hervorruft.

Bildung scheint ein Gut zu sein, um das wütende Auseinandersetzungen entbrannt sind. Es gibt Bildungsgewinner und Bildungsverlierer, und wenn PISA-Tests wenig zufriedenstellende Ergebnisse liefern, dann wird mit „Bildungsoffensiven“ reagiert; gleichzeitig „wappnen“ sich die Unis gegen den „Ansturm“ der Studierenden, während Professoren und Jungforscher mit prekären Anstellungsverhältnissen im „internationalen Wettbewerb“ um Reputation, Stellen, Drittmittel und Publikationsplätze „kämpfen“, um in den diversen Rankings zum Überholen anzusetzen oder wenigstens nicht zurückzufallen.Prallen Reformkonzepte aufeinander, dann kommt es zum „Bildungskrieg“, und in manchen Schulhöfen herrscht ohnehin die nackte Gewalt. Es wundert so wenig, dass der Soziologe Heinz Bude die aktuelle Situation der vermeintlichen Wissensgesellschaft unter dem Stichwort „Bildungspanik“ beschreibt.

Von Wissen keine Rede mehr

In der Tat zeichnet sich im „Bildungsbereich“ in den vergangenen Jahren ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel ab. Die am antiken Ideal und am neuhumanistischen Konzept orientierte „Bildung“, wie sie seit dem 18.Jahrhundert konzipiert wurde, galt in erster Linie als Programm der Selbstbildung des Menschen, eine Formung und Entfaltung von Körper, Geist und Seele, von Talenten und Begabungen, die den Einzelnen zur entwickelten Individualität und zur selbstbewussten Teilnahme am Gemeinwesen und dessen Kultur führen sollte. Gleichzeitig galt Bildung als einzige Möglichkeit, den Menschen aus der Barbarei in die Zivilisation, aus der Unmündigkeit in die Autonomie zu leiten. Maßstab und Ausdruck dafür war die Auseinandersetzung mit klassischen, paradigmatischen und kanonischen Inhalten, die weder einem Zufallsprinzip noch dem Diktat einer aktuellen Verwertbarkeit gehorchten.

Bildung heute meint anderes. Bei all diesen Kämpfen und Konflikten, Debatten und Ängsten, Hoffnungen und Kalkülen geht es um Zugangs- und Aufstiegschancen, Wettbewerbs- und Konkurrenzfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Kompensation herkunftsbedingter Nachteile, um Zugänge zu akademischer Bildung und Schaffung von Exzellenz und Eliten, um Organisations- und Schulformen, um die Akkreditierung von Studiengängen und das Qualifikationsprofil von Abschlüssen, um Beschäftigungsfähigkeit und die Bedürfnisse der Märkte – aber von Wissen, dem Zentralbegriff der Wissensgesellschaft, ist bei all dem ebenso wenig die Rede wie von Freiheit als Bedingung von Erkenntnis.

Mitunter hat man sogar den Eindruck, dass nichts so sehr in der Wissensgesellschaft verachtet wird wie der Erwerb von Wissen. „Faktenwissen“ ist zum Unwort geworden, diese Form des Wissens muss aus den Schulen verbannt werden, niemand soll mit Dingen belastet werden, die man entweder überall nachschlagen kann oder die ohnehin rasch veralten. Die flächendeckende Umstellung der Lehr- und Studienpläne an Schulen und Universitäten von definierten Kenntnissen und Inhalten auf „Kompetenzen“, „Workloads“ und „Soft Skills“ ist nur das sichtbarste Zeichen einer generellen Entwertung des Wissens.

Die Kompetenzen laufen ins Leere

Beseelt von der Idee, dass es in einer Wissensgesellschaft vor allem darauf ankomme, jene Fähigkeiten zu entwickeln, zu trainieren und zu messen, die es erlauben, kompetent mit jedem beliebigen Wissen umzugehen, wird übersehen, dass dadurch das Wissen tatsächlich beliebig, letztlich bedeutungslos wird. Die Kompetenzen laufen ins Leere. Wer nur gelernt hat, mit Wissen umzugehen, weiß, so paradox es klingt, letztlich nicht, wie er mit Wissen umgehen soll. Denn dazu müsste er etwas wissen.

Uns fehlt jede Vorstellung davon, dass es geistige Inhalte geben könnte, die Wert und Interesse in und für sich selber haben und deshalb der entscheidende Stoff und Nahrung für die Entwicklung eines jungen Menschen sein müssen. Man könnte es auch drastischer formulieren: Wir sind zu feige geworden, um uns noch zu geistigen Inhalten zu bekennen, die einen Wert an sich darstellen und deren Kenntnis und Verständnis jenseits aktueller Bedürfnisse eine Befriedigung zu geben vermag. Deshalb vermitteln wir leere Kompetenzen, die wir, weil ohne Geist, für besonders praxis- und lebensnah halten.

Veranstaltungsreihe

„Fachdidaktik kontrovers“. Der Kommentar bildet den Auftakt zur von Nora Ableitinger und Konrad Paul Liessmann initiierten Vortragsreihe des „Fachdidaktikzentrums Psychologie und Philosophie“ der Uni Wien. Am 14.März spricht Prof. Andreas Gelhard (TU Darmstadt) zum Thema „Das Dispositiv der Eignung. Zur Vor- und Frühgeschichte des Kompetenz-Konzepts“. Um 17 Uhr im HS 2i des Instituts für Philosophie (Neues Institutsgebäude, Universitätsstraße 7, 1010 Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2012)

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