Neuer Regierungskurs: Kündigungswelle bei englischen Direktoren

Mit strengen Kontrollen und harten Vorgaben hat sich die konservative Regierung den Ärger der Schulleiter zugezogen. Viele wurden gekündigt – noch mehr wollen freiwillig gehen.

Die Könige verlassen das Haus“, titelt die renommierte englische Wochenschrift „Times Educational Supplement“ eine ihrer letzten Ausgaben. Der Hintergrund: Aus einer aktuellen Umfrage geht Erschreckendes hervor. Mehr als die Hälfte aller englischen SchuldirektorInnen gibt an zu kündigen, ein Fünftel plant das sogar bereits konkret. Parallel dazu ist innerhalb nur eines Jahres die Zahl derer, die eine Ausbildung als LehrerInnen beginnen, um 30 Prozent gesunken.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig: zunehmende Disziplin- und Gewaltprobleme an den sogenannten Brennpunktschulen bei gleichzeitig massiven Budgetkürzungen, drastisch sinkende Leistungen der Schulabgänger an diesen schwierigen Schulen, funktionaler Analphabetismus von bis zu 30 Prozent. Das Hauptübel aber sehen die SchuldirektorInnen laut einer aktuellen Umfrage im geänderten Kurs des konservativen Unterrichtsministers und des obersten Schulinspektors.

Letzterer, noch nicht einmal drei Monate im Amt, hat einen Paradigmenwechsel eingeleitet, den man auf die knappe Formel bringen könnte: Klartext reden und Konsequenzen nicht scheuen. Schon vor seinem Amtsantritt wurden im Sinne der neuen Strenge Schulen mit schlechten Ergebnissen strenger unter die Lupe genommen. Eine Konsequenz: Allein im Vorjahr mussten 272 SchuldirektorInnen den Hut nehmen.

Der neue Kurs setzt auf Kontrolle, Messungen und Evaluierungen. Und schlägt insgesamt einen für das englische Schulsystem ganz und gar unüblichen zentralistischen Weg ein. Wenn dieser Kurs erst greift, werden noch viel mehr SchulleiterInnen gekündigt werden, noch mehr werden aber selbst gehen. Den „schlechten“ Schulen, die zum größten Teil in sehr schwierigem Umfeld zu arbeiten haben, werden zwei Jahre eingeräumt, innerhalb derer sichtbare, sprich messbare Verbesserungen aufzuweisen sind. Wer sich auch nur am Rande mit Organisationen und Organisationsentwicklung beschäftigt hat, weiß sofort, dass innerhalb einer so kurzen Zeitspanne maximal kosmetische Neuerungen vorzuweisen sind; für nachhaltige Änderungen braucht man einige Jahre mehr. Werden innerhalb von zwei Jahren keine messbaren Veränderungen vorgewiesen, wird der Vertrag nicht verändert.

Die Ziele sowohl des Unterrichtsministers als auch seines obersten Schulinspektors sind an sich durchaus unterstützenswert: Verbesserung des englischen Schulsystems insgesamt, Erhöhung der Chancen für jedes Kind, Sicherung von Qualität. Der Weg hingegen, mit dem diese Ziele erreicht werden sollen, ist höchst problematisch. Mit Druck, Angst und (zentraler) Kontrolle soll in kurzer Zeit ein vorzeigbares Ergebnis erzielt werden. Die am häufigsten gehörte Klage von LehrerInnen ebenso wie von SchuldirektorInnen lautet, dass immer nur thematisiert wird, was negativ ist, Positives findet selten Erwähnung. Der zentralistische Zugang schafft darüber hinaus noch weitere Irritationen: England hat eine lange Tradition von Schulautonomie – Entscheidungen werden, zusammen mit den „School Boards“, in denen auch Eltern vertreten sind, traditionell auf lokaler Ebene getroffen. Widerstand macht sich inzwischen auch unter Elternverbänden breit.

Im österreichischen Schulsystem, das traditionell mit Kontrolle, Angst und Druck arbeitet, besteht eine reale Gefahr, im Rahmen der neuen Qualitätskontrolle für Schulen auch die – ohnehin mehr als vage angedachte – Autonomie dieser Kontrolle zu unterwerfen. Vielleicht ahnen das schon so manche? Denn immerhin finden sich jetzt schon für viele Schulen kaum BewerberInnen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2012)

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