„In guten Kindergärten gibt es kein Geschrei“

Im Kindergarten
Im Kindergarten (c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Der deutsche Pädagogikprofessor Gerd E. Schäfer erklärt, warum zwei Stunden Englisch in der Woche„für die Katz“ sind. Er würde seine Kinder nur von akademisch ausgebildeten Pädagogen betreuen lassen.

Die Presse: Ich würde Sie als Wissenschaftler gern vor ein praktisches Problem stellen: Was würden Sie Eltern eines zweijährigen Kindes raten? Ist es für das Kind in Ordnung, wenn sie es ab Herbst in den Kindergarten schicken oder sollen sie ihm noch ein Jahr zu Hause gönnen?

Gerd E. Schäfer: Das kommt auf den Kindergarten an.

Wie müsste dieser sein?

Es gibt zwar klare Kriterien dafür. Die sind für Eltern aber meist nur schwer nachvollziehbar. Ich versuche einen praktischen Rat zu formulieren: Die Eltern sollten sich mit den Pädagogen vertraut machen. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Kind bei diesen Menschen gut aufgehoben ist, dann ist das das erste wichtige Indiz. Ich habe auch noch einen zweiten Tipp: Die Eltern sollten horchen, wie laut es im Kindergarten ist. In einem guten Kindergarten gibt kein riesiges Durcheinander und auch kein Geschrei und Getobe. Es soll aber auch keine Totenstille sein. Ideal ist eine geschäftige Atmosphäre.

Gibt es ein ideales Alter für den Eintritt in den Kindergarten?

Das ist keine Frage des Alters. Ein Kind entwickelt sich nicht für den Kindergarten oder für die Schule. Eines ist klar: Die Umgebung beeinflusst die Entwicklung.

Ist es für die Entwicklung eines Kinder schlecht, wenn es gar nicht in den Kindergarten geht?

Das kommt auf das Elternhaus an. Ein Kind sollte gute persönliche Beziehungen haben und eine anregende Umgebung vorfinden, in der es Sachthemen findet, für die es Interesse entwickeln kann.

Sollen Eltern ihr Kind in einen „normalen“ oder in einen bilingualen Kindergarten schicken, damit das Kind so früh wie möglich eine Zweitsprache lernt?

Per se ist es für ein Kind kein Problem, zweisprachig aufzuwachsen – vorausgesetzt, es ist in einer zweisprachigen Umgebung. Aber wenn Sie glauben, dass ein Kind Englisch lernt, wenn es zwei Stunden pro Woche im Kindergarten Englisch hat, dann ist das für die Katz. Das Geld ist rausgeschmissen, die Zeit ist vertan. Wenn Kinder im Kindergarten Englisch lernen sollen, dann muss jemand da sein, der diese Sprache wenigstens einen halben Tag lang mit den Kindern spricht.

Können Eltern ihr Kind in diesem Alter auch überfordern?

Natürlich. Sie überfordern das Kind meist dann, wenn sie einen Stundenplan machen. Das entspricht nicht dem Wesen eines Kindes. Das ist Schule. Kinder haben grundsätzlich keinen Kopf, der für die Schule geprägt ist. Sie müssen erst lernen, mit der Schule zurechtzukommen. Natürlich kann man die Kinder schon früh in die Schule setzen. Sie werden sich auch daran gewöhnen. Das Ganze wird aber sicher Nebenwirkungen haben. Stichwort: Konzentrationsschwäche.

Es tobt ein Streit darüber, ob Kindergartenpädagogen eine Uni-Ausbildung brauchen, oder ob ein liebevoller Umgang reicht.

Ich würde meine Kinder nicht in einen Kindergarten schicken, in dem die Pädagogen keine akademische Ausbildung haben. Ich will die Familie nicht idealisieren, aber eine Familie, die ein anregendes Umfeld schafft, ist besser als ein Kindergarten ohne akademisches Personal.

Wozu braucht es unbedingt eine akademische Ausbildung?

Das hängt damit zusammen, dass es für Erwachsene sehr schwer ist, sich in das Denken der Kinder einzufühlen. Wir sind längst verkopft. Wie ich mit Kindern umgehen muss und wie ich Interessen entwickeln kann, muss ich lernen. Das kann die Uni leisten. Ich sage aber nicht, dass eine akademische Ausbildung reicht.

Inwieweit sollte man forcieren, dass Kinder schon im Kindergarten lesen und schreiben lernen?

Forcieren ist der falsche Weg. Das sieht man bei den Naturwissenschaften. Es wurde versucht, die Kinder schon im Krippen- und Kindergartenalter für diese zu begeistern. Ich garantiere, dass die Kinder dadurch nur noch früher Angst vor Naturwissenschaften bekommen.

Sie wollen der Naturwissenschaft damit aber wohl nicht die Wichtigkeit absprechen.

Natürlich ist Naturwissenschaft wichtig. Natur lernt man aber nicht im Labor und bei Versuchen kennen. Kinder müssen ins Freie gehen, um Natur zu erfahren. Entweder der Kindergarten hat einen schönen Garten, oder es muss zwei Mal in der Woche ein Ausflug stattfinden.

Sie halten also nichts von den Physikkästen, die im Kindergarten eingesetzt werden?

Das kann man sich sparen. Das führt dazu, dass Kinder über etwas staunen und bei der Sache sind, wenn es pufft, knallt und blitzt. Das schafft aber kein nachhaltiges Interesse daran. Die Kinder begreifen ja gar nicht, warum es stinkt, knallt und pufft.

ZUR PERSON

Gerd E. Schäfer ist Professor für frühkindliche Bildungsforschung. Der Deutsche war vergangene Woche anlässlich des 5. Pädagogischen Tages der

St.-Nikolaus-Kindertagesheimstiftung in Wien. [ St.-Nikolaus-Stiftung/Knittel ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2014)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.