Gehrer: "Leider siegt Ideologie über den Hausverstand"

Elisabeth Gehrer
Elisabeth GehrerAPA
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Elisabeth Gehrer, ÖVP, feierte dieses Wochenende ihren 70. Geburtstag. Im Interview setzt sie sich massiv für die Gymnasien ein. An den Unis kann sie sich 500 Euro Studiengebühr pro Semester vorstellen.

Die Presse: Wie gut oder wie schlecht ist es heute, im Jahr 2012, um Österreichs Schulwesen bestellt?

Elisabeth Gehrer: Das österreichische Schulwesen ist ein gutes Schulwesen, es hat gute und engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Nur glaube ich, dass man mit dem ewigen Herumorganisieren ein bisserl vorsichtig sein sollte. Alle Neuorganisationen kosten unglaublich viel Energie und kosten demnach auch viel Geld. Man sollte in die Qualität investieren und nicht in die Organisation.

Aber alle Parteien sprechen sich für eine Schulreform aus.

Unter Schulreform verstehe ich Verbesserung der Qualität, verstehe ich noch besseres Eingehen auf die Schülerinnen und Schüler. Wenn man sieht, dass bei uns die Jugendarbeitslosigkeit die geringste in ganz Europa ist, dann weiß man, dass die Kinder eine gute und zielführende Ausbildung erhalten haben.

Wo soll man dann bei einer Reform ansetzen?

Ich finde es gut, wenn man mehr Ressourcen für die Schule zur Verfügung stellt – etwa einen zweiten Lehrer in der Klasse und für schwierige Fälle die notwendige Betreuung. Das ist eine gute Reform. Ich finde es auch gut, wenn man die Qualität immer wieder überprüft, das heißt, in Bildungsstandards investiert und da auch regelmäßig schaut, dass diese Bildungsstandards erreicht werden.

Stichwort Qualität: Die Gymnasien kämpfen um Qualität, weil dort die Ressourcen vermindert werden. Was würde das Ende der achtjährigen Gymnasien für Österreich bedeuten?

Meiner Meinung nach auf jeden Fall eine Nivellierung nach unten. Wenn man im Koalitionsübereinkommen vereinbart hat, dass das Gymnasium neben der Neuen Mittelschule bleibt, dann muss man so viel Handschlagqualität haben, dass man diese Vereinbarung auch einhält. Das ist besonders wichtig, denn Politik braucht Handschlagqualität, damit man weiß, worauf man sich verlassen kann.

Das ist eine Kritik an der derzeitigen SPÖ-Ministerin Claudia Schmied.

Das ist eine Kritik an jenen, die der Ministerin einreden, dass man den Gymnasien keine Ressourcen mehr geben soll. Ich glaube, dass Ministerin Schmied vielleicht eine andere Meinung hat, aber leider siegt in vielen Bereichen die Ideologie über den Hausverstand.

Mit den PISA-Studien mussten Sie viel Kritik einstecken. Sind diese Erhebungen ein objektiver Gradmesser für Qualität?

Nein. Die PISA-Erhebungen sind eine Überprüfung von Wissen, wobei von Südkorea bis Nordkanada dieselben Fragen gestellt werden. Ich glaube nicht, dass man daran wirkliche Qualität messen kann. Es ist ein Hinweis auf Fähigkeiten und Kompetenzen, den man nicht überbewerten sollte. Das Theater, das bei der Veröffentlichung der PISA-Studie immer erfolgt, schadet mehr, als es nützt.

Man hat das mittelmäßige bis schlechte Abschneiden Ihnen persönlich angerechnet.

Aus meiner Erfahrung: Man sollte auch bei einer anderen Ministerin von einer anderen Fraktion diese Ergebnisse nicht überbewerten, man sollte sie als Hinweis nehmen, wo es etwas zu verbessern gibt. Und in den Ländern, die besonders gut abschneiden, schauen, was sie besser machen als wir. Aber einen Drill, wie er zum Beispiel an Schulen in Südkorea (bei PISA im Spitzenfeld, Anm.) vorherrscht, möchte ich bei uns nicht.

Die umstrittene Zentralmatura ist derzeit in den Schlagzeilen. Sie haben für diese den Startschuss gegeben.

Ich glaube, dass gemeinsame Standards richtig sind. Darüber hinaus sollten aber individuelle Wissensbeiträge der Maturantinnen und Maturanten möglich sein, also ein Mix aus zentral und individuell. Das muss man halt gut vorbereiten.

Es verlautet, dass man mit dem Niveau heruntergeht, damit möglichst viele die Matura schaffen.

Das ist natürlich falsch. Man müsste überlegen, die Zentralmatura zu verschieben, damit Gymnasien, die eventuell nicht auf dem hohen Niveau sind, ein echtes Upgrading machen. Das Niveau sollen Fachleute in Zusammenarbeit mit Lehrern und Universitäten festlegen.

Zu den Universitäten: Wir erleben gerade einen Eiertanz um mögliche und tatsächliche Studiengebühren. Sind die Gebühren angesichts der Ausstattung der Unis überhaupt gerechtfertigt?

Erstens: Unsere Universitäten sind nicht so schlecht, wie man dauernd bejammert. Man soll sich die neuen Gebäude anschauen. Zweitens: Die Studiengebühren sind sehr wohl gerechtfertigt, wenn dem gegenüber ein sehr gutes Förderungswesen besteht. Wir haben damals eine sehr einfache Methode entwickelt: Wer Studiengebühren einzahlt und dann ein Stipendium erhält, bekommt die Gebühr zurück.

Im Jahr 2001 hat die Gebühr 363 Euro pro Semester ausgemacht. Wie hoch sollte sie 2012 sein?

Wenn man den Geldwert hernimmt, dann könnte sie, glaube ich, bei 500 Euro liegen.

Sie waren Bildungs- und Wissenschaftsministerin. Sollten die Ministerien wieder zusammengelegt werden?

Das war für mich ein sehr schönes Ministerium, in dem das gesamte Bildungswesen in einer Hand war. Aber: Es ist nicht unbedingt notwendig, man muss ja immer über Ministeriumsgrenzen zusammenarbeiten. Es wäre wichtiger, die gesamte Forschung zurück zum Wissenschaftsministerium zu geben. Verkehr und Infrastruktur könnte wieder zur Wirtschaft kommen – und ich spare ein Ministerium ein.

Sie waren zwölf Jahre Ministerin. Ihr Blick zurück?

Ein durchaus positiver Blick zurück. Wir waren unter Wolfgang Schüssel ein echtes Team. Ich habe positive Erinnerungen.

Zur Person: Zwölf Jahre Regierungsmitglied

Elisabeth Gehrer (70) war von 1995 bis 2000 Bildungsministerin und von 2000 bis 2007 Bildungs- und Wissenschaftsministerin. Im Schulbereich setzte sie auf zahlreiche kleinere Reformen (Berufsreifeprüfung, höhere Schulautonomie), musste aber scharfe Kritik wegen der mittelmäßigen PISA-Ergebnisse einstecken. Die pädagogischen Akademien wurden zu pädagogischen Hochschulen aufgewertet, und die Zahl der Fachhochschulstudiengänge wurde stark vermehrt. An den Universitäten kamen 2001 Studiengebühren (in allgemeiner Form bis 2008). Zudem erhielten die Unis 2002 mit dem neuen Uni-Gesetz eine völlig neue Struktur mit einer weitgehenden Autonomie. 2006 wurde das Exzellenzinstitut ISTA („Eliteuniversität“) gegründet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

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