Drei Monate schulfrei: Italien im Betreuungssommerloch

Ganze zwölf bis 13 Wochen haben die Schulen Italiens geschlossen. Berufstätige Eltern stehen vor einer Organisations- und Finanzierungshürde: Können Großeltern nicht die Kinder betreuen, müssen teure Camps gebucht werden.

Erzählen Sie einem Schüler in Österreich, der sich auf neun Wochen Erholung vom Unterricht freut, dass seine italienischen Kollegen ganze zwölf oder sogar 13 Wochen freihaben. Die Reaktion lässt sich leicht erahnen: Gemein, unfair wird das Ganze aus Schülersicht wohl sein, und das Eis wird auf einmal auch gar nicht mehr so gut schmecken.

Und tatsächlich: In keinem anderen europäischen Land gibt es längere Schulferien als in Italien. Ganze drei Monate schließen Schulen hier ihre Türen: Im Piemont im Norden haben Schulkinder in diesem Jahr vom 14.Juni bis zum 11.September frei. Weiter im Süden, in Apulien, dauern die Ferien sogar vom 10.Juni bis hin zum 16.September. Für Kinder ist das eine kleine Ewigkeit, die aber Freude macht. Für berufstätige Eltern ist es eine kleine Ewigkeit, in der sie sich die Frage stellen müssen: Wohin nur mit den Kindern?

Familie oder Camp. Dass die Lage in Italien besonders schwierig ist, weiß Alessandra Albertoni. Ihre erste Tochter hat sie einige Jahre in Deutschland aufgezogen – als alleinerziehende Mutter. Trotzdem hatte sie im Sommer keine Probleme bei der Betreuung: „Die Schulferien waren auf das Jahr über besser verteilt. Außerdem war auch immer ein Hort offen, wo man die Kinder hinbringen konnte.“ Als sie zurück nach Italien zog, stand sie mit ihrem zweiten Kind im Sommer wochenlang vor verschlossenen (Schul-)Türen.

Berufstätige Eltern hätten dabei nur zwei Alternativen: Variante eins ist, die „Nonni“, also die Großeltern, einzuspannen. „Sie müssen aber relativ fit sein, um die Kinder drei Monate lang beschäftigen zu können“, meint Albertoni. Sie hat diese Möglichkeit nicht.

Und so bleibt nur Variante zwei: viel Geld in die Betreuung der Kinder zu investieren. „Mein kleiner Sohn besucht gerade ein Fußballcamp, für eine Woche zahle ich allerdings auch schon 180 Euro. Das ist viel Geld, auch wenn man es auf den ganzen Sommer hochrechnet.“ Dabei sei bei ihr in Bozen, im weniger chaotischen Norditalien, die Ferienzeit durch die Gemeinden noch relativ gut organisiert: Das Land bietet Freizeitaktivitäten für Kinder an – allerdings nur gegen Bezahlung.

In Turin organisiert Anna Raimondi von der Organisation „SOS Mamme“ ein Betreuungsprogramm für Volksschüler: „Wir versuchen, die Kosten niedrig zu halten, gratis können wir es aber nicht anbieten.“ Es sei eine schwierige Zeit: Die Löhne seien niedrig und nur wenige hätten die Mittel, die Kinder in Camps zu schicken. „Sind sie etwas älter, verbringen sie oft die Zeit allein zu Hause“, sagt sie. Dass man die Ferienzeit verkürze und der Schulunterricht auch im Sommer stattfinde, kann sie sich aber nicht vorstellen: Dafür sei es in Italien viel zu heiß.


Opa auf Zeit. Aber es gibt auch Städte, die ihren Bürgern kostenlose Betreuung anbieten – das ist jedoch die Ausnahme. In Genua etwa gibt es das Projekt „Ho trovato un nuovo nonno“, zu Deutsch: Ich habe einen neuen Opa gefunden. Senioren bieten ihre Freizeit für die Betreuung von Kindern an. Der Rest freut sich wenigstens auf Ferragosto: Rund um den Feiertag, den 15.August, haben viele Fabriken und Unternehmen geschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2012)

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