Diskriminierungsteufel steckt in "Pippi Langstrumpf"

Diskriminierungsteufel steckt Pippi Langstrumpf
Diskriminierungsteufel steckt Pippi Langstrumpf(c) EPA
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Laut „Daily Mail“ plant das Europäische Parlament, Kinderliteratur mit veralteten Rollenklischees aus dem Verkehr ziehen. Da bliebe kaum ein Klassiker übrig.

Erst will die EU Brettljausen abschaffen, krumme Gurken, Salzstangerln, das Wort Marmelade und Kellnerinnen-Dekolletés, und jetzt auch noch das: Den Kindern sollen die guten alten Kinderbücher weggenommen werden! Wer's nicht glaubt, lese die britische Zeitung „Daily Mail“. Unter dem Titel „Jetzt hat es Brüssel auf die ,Fünf Freunde‘ abgesehen!“ berichtet sie, das Europäische Parlament wolle Kinderliteratur mit veralteten Rollenklischees aus dem Verkehr ziehen.

Demnach wären etwa die Klassiker von Enid Blyton, „Peter Pan“ und „Paddington Bear“, gefährdet. Aber was ist mit Astrid Lindgren? Immerhin sind in „Wir Kinder aus Bullerbü“ die Buben schlimm und bauen Baumhäuser, während die braven Mädchen mit Puppen spielen. Und selbst „Pippi Langstrumpf“ wartet mit einer stets adretten, ängstlichen Annika auf.

Einige deutschsprachige Online-Medien haben die Nachricht schon aufgegriffen und sehen sich in ihren Warnungen vor dem „Genderwahn“ bestätigt. Tatsächlich betont besagter Bericht (der wie hunderte andere Ausschussberichte völlig folgenlos bleiben wird), „wie wichtig es ist, die Konfrontation der Kinder mit Geschlechter-Stereotypen vom frühestmöglichen Alter an zu verringern“.

Verabschiedet wurde der Bericht „über die Beseitigung von Geschlechter-Stereotypen in der EU“ vom Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Als wichtige Rollenbildner für Kinder werden darin Fernsehserien und -werbung, Schulbücher und Erziehungsprogramme genannt. Von Kinderbüchern keine Spur.

Ganz unrecht haben die Kritiker aber nicht. Denn aus den Forderungen lassen sich alle möglichen impliziten Schlüsse ziehen. Unterzöge man die gesamte Schullektüre einer Gendergerechtigkeitsprüfung, bliebe tatsächlich kaum ein Kinderbuchklassiker übrig. Enid Blyton hat zum Beispiel eindeutig schlechte Karten. „Soll ich das Geschirr am Fluss spülen oder in dem kleinen Ausguss?“, fragt die zehnjährige Anne in „Fünf Freunde“: „Ich weiß nicht, was schöner wäre.“

Aber der Diskriminierungsteufel steckt fast überall, auch Tiergeschichten sind vor ihm nicht sicher. In den Märchen kommen viel mehr männliche als weibliche Tiere vor. Und Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Mütter, wenn sie ihren Kindern vorlesen, die Tiere in den Geschichten als männlich identifizieren, sogar grammatikalisch geschlechtsneutrale Märchenwesen.

Für die Genderpolitik gibt es also noch viel zu tun. Und was machen einstweilen die Kinder? Sie lesen die Bücher so, wie es ihnen gefällt. Ein Mädchen, das Lindgrens Annika nicht mag, hält sich an Pippi, wenn es Blytons Anne nichts abgewinnen kann, ignoriert es sie und identifiziert sich mit der androgynen George oder einfach den Buben. Wer allen Ernstes glaubt, dass Kinder sich durch die Lektüre Peter Pans von der häuslichen Wendy und ihrer Hausmütterchen-Mama maßgeblich beeinflussen lassen, und nicht etwa von dem, was ihre Eltern und die übrigen Menschen um sie herum tagtäglich tun, braucht weniger einen Kurs in Politik als vielmehr in Psychologie.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2012)

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