Studie: „Mythen“ der kinderlosen Gesellschaft

(c) FABRY Clemens
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Wissenschaftler haben in der Studie „Zukunft mit Kindern“ die Fruchtbarkeit in in Deutschland, Österreich und der Schweiz analysiert. Sie empfehlen: Mehr „Familienzeit“ im Job, dafür später in Pension.

Wien/UW. „Menschen mit niedriger Bildung bekommen mehr Kinder.“ „Niedrige Geburtenraten sind die Folge weiblicher Berufstätigkeit.“ „Dank Reproduktionsmedizin kann man Anfang vierzig problemlos Kinder bekommen.“
Solche Stehsätze tauchen in Debatten über niedrige Geburtenzahlen oft auf. Unter der Federführung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie Leopoldina haben Wissenschaftler die Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. In der Studie „Zukunft mit Kindern“, die am Montag in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften präsentiert wurde, erarbeitete man Empfehlungen, wie man den Eltern die Realisierung des Kinderwunschs erleichtert, und unterzog beliebte Thesen einem „Mythen-Check“.

Dieser beginnt schon beim Kinderwunsch: Die Annahme, dass Menschen viel mehr Kinder wollen, als sie bekommen, stimmt so nicht. Der „fertility gap“ wird überschätzt. Einerseits, weil sich der Kinderwunsch im Laufe des Lebens verändert, vermutlich reduziert. Anderseits zählt die Statistik „ungenau“. Denn misst man statt der Anzahl der Geburten pro Jahr (umgelegt auf alle gebärfähigen Frauen) jene Geburten, die ein Altersjahrgang (z. B. Frauen des Jahrgangs 1965) bis zur Menopause hervorbringt, fällt die Fruchtbarkeit höher aus: 1,6 Kinder statt 1,4 pro Frau für die deutschsprachigen Länder. Der Grund: Die erste Methode enthält Verzerrungen, weil Frauen Kinder oft später im Leben bekommen.

Auch die eingangs erwähnten Thesen hinken. Wenig Bildung heißt nicht mehr Kinder: Männer mit geringer Bildung und geringem Einkommen bleiben oft kinderlos, weil sie seltener in einer festen Partnerschaft leben. Weiters beweisen die USA oder Frankreich, dass sich ausgeprägte weibliche Berufstätigkeit nicht in weniger Geburten niederschlagen muss. Auch der Glaube an die Reproduktionsmedizin ist überzogen: Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sinkt ab Mitte 30 drastisch – auch bei assistierter Fortpflanzung. Frauen müssten besser über ihre „biologischen Chancen“ aufgeklärt werden, so die Experten.

Arbeiten bis 70?

Andere Empfehlungen betreffen die Arbeitswelt: Da Karriere und Familie in die „Rush-hour“ des Lebens (30. bis 45. Jahr) gedrängt werden, plädiert man für eine „Entzerrung“. Wie die Bildungskarenz solle es eine „Familienzeit“ geben. Derzeit seien Zeitmodelle (Karenz) zu sehr auf die ersten Lebensjahre der Kinder konzentriert. Mütter und Väter sollten ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Und dafür länger arbeiten. Günther Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie, kann sich verschiedene Pensionsantrittsalter vorstellen: Wer später (etwa nach dem Studium) mit dem Job beginnt, könnte bis 70 arbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2013)

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