Generation Tablet: Wischen ohne Anleitung

Generation Tablet Wischen ohne
Generation Tablet Wischen ohne(c) Clemens Fabry
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Schon Babys und Kleinkinder wissen intuitiv, wie sie mit Tabletgeräten oder Smartphones umgehen sollen. Ist das gut oder schlecht – und wie sollen Eltern den Digitalkonsum ihrer Kleinen steuern?

Adrian war vier Jahre alt, als er zum ersten Mal über den Bildschirm wischte. „Irgendjemand hat das ,Angry Birds‘-Spiel installiert“, erzählt seine Mutter. „Das hat man ihm erklärt – und er hat bald kapiert, wie es funktioniert.“ Es waren nur wenige Minuten notwendig, bis Heidi Sillers Sohn auf einem Smartphone ganz selbstverständlich mit den Fingern über den Touchscreen glitt und mit Steinschleudern Vögel auf die Verstecke der Schweine schoss, die ihre Eier entführt hatten. Ein neues Spielzeug, das Adrian künftig immer wieder fesseln sollte.

Ein Spielzeug, das auch in immer mehr Haushalten zu finden ist. Laut einer Google-Studie nutzen etwa 59 Prozent der Österreicher fast täglich ein Smartphone. Und fast jeder zehnte Österreicher besitzt mittlerweile einen Tablet-Computer – Tendenz steigend.

Während sich die Erwachsenen mit ihren Geräten in sozialen Netzwerken herumtreiben, im Internet einkaufen oder sie einfach nur zum Surfen und Mailen nutzen, haben die Kinder in ihnen neue Spielkameraden entdeckt. Vor allem die intuitive Bedienung macht es schon den Jüngsten besonders leicht, schnell zu Erfolgserlebnissen zu kommen.


Die Industrie hat eine Zielgruppe. Dabei war Adrian, der im Herbst sechs Jahre alt wird, in Sachen Smartphone im Grunde schon ein Spätstarter. Gerade einmal 14 Monate alt war etwa Maximus, als er seine allerersten Erfahrungen mit den Fingern auf einem Bildschirm machte. Mittlerweile ist er 20 Monate alt. „Er kann das iPhone schon entsperren und darauf so lange herumwischen, bis er zu seinen Apps kommt“, erzählt sein Vater Andreas Schmölzer, Inhaber einer Wiener Filmproduktion. „Er findet die Musik-App, und er sucht sich seine Lieblingslieder heraus.“

Dass Kinder schon ab dem frühesten Alter positiv auf digitale Geräte reagieren, hat für Kurosch Yazdi, Facharzt für Psychiatrie in Linz, mehrere Gründe: „Erstens: Kinder mögen generell bewegte Bilder, das ist auch beim Fernsehen zu beobachten.“ Nur dass bei Smartphones und Tablets noch das interaktive Element dazukommt. „Und zweitens: Kinder lernen durch Modelle. Wenn die Eltern ständig am Telefon oder an ihren Smartphones hängen, ahmen die Kinder das einfach nach.“ Zudem, sagt Yazdi, seien Kinder wahnsinnig neugierig und lernbereit.

Die besten Voraussetzungen also, die Kinder als Zielgruppe für derartige Produkte ins Visier zu nehmen. Die Industrie hat bereits reagiert und produziert Spielzeug, das aussieht wie Handys. Auch die Tablet-Hersteller selbst bemühen sich, Kinder so früh wie möglich an ihre Geräte heranzuführen. Und schließlich bieten Software-Entwickler auch schon maßgeschneiderte Apps an – von Lernprogrammen, in denen Kinder Bauernhöfe, Zoos oder Landschaften spielerisch erforschen können, über Zeichen- und Malprogramme bis zu Programmen, die zum Lesen ermuntern, und sogar solchen, mit denen erste Rechenaufgaben gelöst werden können. Mittlerweile gibt es erste Pilotprojekte, die Tablets gezielt im Kindergarten und in Schulen einzusetzen.

Eine Entwicklung, die natürlich für Debatten sorgt. Denn nicht alle sind glücklich damit, dass die Kinder schon so früh mit Computern in Berührung kommen. Aus pädagogischer Sicht würde auch einiges dagegensprechen. Es sei ein Irrtum der Eltern zu glauben: „Je früher mein Kind lernt, damit umzugehen, desto klüger wird es“, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Yazdi. „Nur wenn man den Kindern mit neun Monaten ein Plastikhandy zum Spielen gibt, sie mit zweieinhalb im Internet surfen lässt, heißt das nicht, dass sie mit zehn Jahren ein Computerprogramm schreiben können.“


Sucht nach dem Handy. Die Daten zum Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Tablets und Smartphones seien eindeutig: „Es gibt ein gewisses Ausmaß der Nutzung, das unschädlich ist. Bei allem, was darüber hinausgeht, verblöden die Kinder.“ Dabei würden etwa dieselben Regeln gelten wie für das Fernsehen. Zu viel Konsum, warnt der Experte, könne eine frühe Sucht auslösen. Als Leiter der Suchtabteilung der Linzer Landesnervenklinik Wagner-Jauregg hat sich Yazdi vermehrt mit diesem Phänomen beschäftigt – auch bei Erwachsenen. Zuletzt hat er dazu auch ein Buch veröffentlicht. Titel: „Junkies wie wir“.

Wie diese Sucht am Ende aussehen kann, zeigt die Geschichte einer 17-jährigen Kellnerin, die Yazdi in seiner Suchtambulanz betreute. Weil sie den ganzen Tag twitterte und dafür stets auf die Toilette ging, konnte sie irgendwann nicht mehr arbeiten. In der Nacht stellte sie sich sogar jede Stunde den Wecker, um wieder twittern zu können. Die Folgen der Sucht: Kontrollverlust. Depressionen. Und auch ein gewisser körperlicher Verfall.

Aber bereitet man Kindern schon den Weg in die Sucht vor, nur indem man ihnen den Umgang mit einer Technologie ermöglicht, an der sie irgendwann sowieso nicht vorbeikommen? Schließlich gehören viele der Menschen, die heute mit ihren Tablets und Smartphones so etwas wie ein Suchtverhalten an den Tag legen, nicht unbedingt zu jenen Digital Natives, die schon von klein auf Zugang zu diesen Geräten hatten. „Wir versuchen, unseren Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Geräten beizubringen“, sagt Jürgen Rupprecht. Als Öffentlichkeitsarbeiter in der Wirtschaftskammer ist der 43-Jährige einer jener Newsjunkies, die ständig online sind, Nachrichten lesen und in sozialen Netzwerken wie Twitter laufend selbst Nachrichten absetzen. Seinen Kindern solche Technologien zu verbieten käme ihm lächerlich vor.


Streitfall Handy in der Schule. „Aber es muss individuelle Grenzen geben. Zwei Stunden sind das Allerhöchste.“ Viel kürzer habe es wenig Sinn, weil man bei manchen Spielen eben eine gewisse Zeit brauche. Das Problem, dass die Kinder nur noch stundenlang über dem Tablet sitzen, das gebe es aber sowieso nicht. Sein elfjähriger Sohn hat zuletzt nur so lange mit dem Computer gespielt, bis es draußen zu regnen aufgehört hat. Kaum war die Sonne wieder da, war das Baumhaus im Garten wieder interessanter. „Ein Tablet ist eher nicht Konkurrenz, sondern Ergänzung“, sagt Rupprecht. Und in der Schule, da sei das Gerät auch eine große Hilfe – viele Hausübungen werden heute schon auf dem Computer gemacht.

Gerade die Schule ist ein Bereich, in dem der Kampf rund um Handy und Tablet zuletzt heftig entbrannt ist. An einigen Wiener Schulen wird sogar über ein Totalverbot diskutiert. Es soll die Schüler vor dem Druck zu schützen, ständig online präsent sein zu müssen, so die Begründung. Doch während fundamentale Gegner, etwa der deutsche Hirnforscher Manfred Spitzer (siehe Interview rechts), das Handy bei Jugendlichen generell für schädlich halten, sieht Psychiater Yazdi einen Spielraum: „Eine gewisse Reglementierung ist notwendig, das machen wir mit Zigaretten und Alkohol an Schulen ja auch, also warum nicht auch mit digitalen Geräten?“ Ein völliges Verbot sei aber kontraproduktiv. Wichtig sei es, den Kindern ein Begleiter in der Welt des Internets zu sein. „Denn das Kind sucht sich sonst sein Rudel im Internet ganz allein.“


Keine klaren Antworten. Die Wissenschaft selbst hat noch keine klaren Antworten, wie sich der Konsum digitaler Medien bei den Allerjüngsten auswirkt – noch fehlen die dazu notwendigen Langzeitstudien. Aber es gibt Beispiele von Eltern, die hoffen lassen, dass ein Tablet das Kind nicht komplett in eine Welt entführt, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat. So erzählt Andreas Schmölzer von einer App namens „Schlaf gut“, auf der man Tiere auf einem Bauernhof nacheinander schlafen legt, indem man das Licht in ihrem Zimmer abdreht. Sohn Maximus bekam von seiner Großmutter dasselbe Spiel als Buch geschenkt – und wischte und tapste zunächst intuitiv auf den Seiten herum. Doch schnell begriff er, dass das auf Papier nicht zum gewünschten Ergebnis führte: „Obwohl er erst eineinhalb ist“, sagt sein Vater, „kann er abstrahieren, dass es Bücher und Tablets gibt.“

Tablet fürs Kind

Früher Einstieg: Kinder können schon früh den Umgang mit Tablets und Smartphones erlernen. Wischen und Tippen erlauben ihnen eine mühelose Bedienung. Einige Hersteller haben bereits eigene Geräte speziell für Kinder kreiert. Viele dieser bunten und robusten Tablets lassen sich von den Eltern so konfigurieren, dass nur bestimmte Apps verfügbar sind – und kostenpflichtige Programme nur bedingt geladen werden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

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