Erziehung: Schläge verboten, aber nicht verschwunden

Erziehung: Schläge verboten, aber nicht verschwunden (Gestelltes Foto)
Erziehung: Schläge verboten, aber nicht verschwunden (Gestelltes Foto)(c) APA (SCHNEIDER Harald)
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600.000 Kinder werden Schätzungen zufolge mit Gewalt erzogen. Circa ein Drittel der Eltern weiß nicht, dass das seit bald 25 Jahren verboten ist.

Auf dem Papier ist alles in Ordnung. Geht es nach dem Gesetz, wachsen Kinder in Österreich gewaltfrei auf. Lehrer dürfen sie seit 1974 nicht mehr schlagen, am Arbeitsplatz ist „Züchtigung“ seit 1982 verboten. 1989 wurde das „absolute Gewaltverbot“ in der Erziehung in der Verfassung verankert.

Geändert hat sich seither im privatesten dieser Bereiche – den Familien – erstaunlich wenig: Immer noch wissen Studien zufolge 30Prozent der Eltern gar nicht, dass sie ihre Kinder rein rechtlich gar nicht schlagen dürfen. Immer noch gibt mehr als die Hälfte ganz offen zu (siehe Grafik), ihre Kinder mit körperlichen Strafen wie Ohrfeigen zu erziehen. 600.000 Kinder und Jugendliche, schätzt die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, erleben in Österreich Gewalt durch ihre Erziehungsberechtigten. Und immer noch wird das vom Staat, von den Behörden, von der Gesellschaft insgesamt, geduldet. Es scheint: Man ruht sich auf der sehr klaren Gesetzeslage aus.

Zu wenig Information

Die „g'sunde Watschen“ (die, so will es der Volksmund immer noch, „noch keinem geschadet hat“) passiert dabei meist im privaten Bereich, im Kinderzimmer, zu dem der Staat nur in den schlimmsten Fällen Zutritt bekommt: Wegen einer Ohrfeige, sagen Sozialarbeiter, ruft niemand die Jugendwohlfahrt. Und selbst wenn: Wie kann man Eltern wegen einer Ohrfeige sanktionieren? Kindsabnahmen passieren nur als letzter Schritt bei schwerer Vernachlässigung oder Misshandlung, allein in Wien war das heuer bereits 303 Mal der Fall. Die Zahl der nicht angezeigten, weniger schweren Fälle dürfte zigfach darüber liegen.

Keine Frage, die Kontrolle der alltäglichen, der „kleinen“ (so schlimm diese Bezeichnung im Zusammenhang mit geschlagenen Kindern auch klingen mag) Gewalt in der Familie ist nicht durchführbar. Kaum ein Kind, das seine Eltern anzeigen würde – oder auch nur wüsste, dass es eigentlich gar nicht geschlagen werden darf.

Dass Prügel als Erziehungsmaßnahme dennoch verhindert werden können, zeigt Schweden vor: Hier ist nach Einführung des Gewaltverbotgesetzes die Zahl der von ihren Eltern geschlagenen Kinder viel rascher und auf ein wesentlich niedrigeres Niveau gesunken als in Österreich, das sein Gewaltverbot damals auf Betreiben des Kinderarztes Hans Czermak, der heute, Donnerstag, 100 Jahre alt geworden wäre, verabschiedet hat. 1989 war man nach Schweden, Finnland und Norwegen das vierte Land weltweit und damit unter den Vorreitern. Deutschland etwa hat das Gewaltverbot erst im Jahr 2000 beschlossen, in Frankreich gilt es immer noch nicht.

Der Grund für den schwedischen Erfolg (siehe Text unten) mag nach einer Worthülse klingen: Bewusstmachung. Doch augenscheinlich haben die staatlichen Aktionen – bis hin zu Anti-Gewalt-Kampagnen auf Milchpackungen – gewirkt. Ähnliches zeichnet sich in Spanien ab, wo ein Gewaltverbot erst seit 2008 gilt: Dort aber, sagt Kinderliga-Präsident Klaus Vavrik, würden Schläge als Erziehungsmaßnahme viel schneller zurückgehen als bei uns – weil man das neue Gesetz mit intensiven Kampagnen publik gemacht hat. „Diese Beispiele zeigen“, sagt Vavrik, „dass ein strenges Gesetz allein nicht reicht.“

Vavrik fordert als erste Maßnahme eine Kampagne – vergleichbar mit jener drastischen Bewusstseinsbildung für mehr Achtsamkeit im Verkehr („Kinder sehen die Welt anders“), die sich das Verkehrsministerium derzeit 2,3 Millionen Euro kosten lässt.

Aufholbedarf ist gegeben, auch rein volkswirtschaftlich betrachtet: Wer schon als Kind Gewalt ausgesetzt wird, wird nicht nur selbst später mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen eigenen Nachwuchs schlagen, weil er keine andere Form der Problembewältigung kennengelernt hat. Überdurchschnittlich oft werden aus geschlagenen Kindern auch Erwachsene mit Bindungsstörungen und Depressionen. Häufig sind sie nicht voll arbeitsfähig, brauchen (teure) Therapieplätze. Gutes Stichwort: Denn den betroffenen Kindern kann oft lange nicht geholfen werden. Eineinhalb Jahre warten Kinder derzeit auf einen Therapieplatz. Für viele ist er ob des hohen Selbstbehalts aber ohnehin unleistbar.

Erziehung durch Schlaege
Erziehung durch Schlaege (C) DiePresse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

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