Juli 1914: Ein Toter in Österreichs Botschaft

Der russische Botschafter hat zu viel Stress – Friedrich v. Wiesners matte Untersuchung.

Während der Alltag im Juli 1914 in hochsommerlicher Trägheit abläuft, ereignet sich in Belgrad ein Vorfall, der die ganze Anspannung der Diplomaten in diesen Wochen vor dem Kriege illustriert. Am 10. Juli bittet der russische Botschafter in der serbischen Hauptstadt, Nikolai Hartwig, seinen österreichischen Kollegen, Baron von Giesl, um eine Unterredung. Hartwig, schwer herzkrank und kurz vor Antritt seiner Kur, versichert dem österreichischen Vertreter, dass Sankt Petersburg in keiner Weise in die serbischen Mordpläne gegen Franz Ferdinand verwickelt war. Dass sein Botschaftsgebäude nach dem Sarajewo-Attentat nicht sofort auf halbmast flaggte, sei ein bedauerlicher Irrtum gewesen, aber keineswegs Provokation. Giesl glaubt ihm.

Die Herren rauchen noch einige Zigaretten. Um 21.20 Uhr sackt der russische Diplomat auf dem Sofa zusammen, Giesl versucht, ihn zu reanimieren. Vergeblich, Nikolai Henrichowitsch Hartwig stirbt auf dem Teppich der österreichischen Botschaft. Die Tochter sorgt für einen diplomatischen Eklat, als sie Baron Giesl beschuldigt, ihren Vater vergiftet zu haben. Hartwigs Beisetzung in Belgrad gerät zu einem Staatsakt.

In seinem Buch „Schöne Tage 1914“ (Amalthea) beschreibt der Journalist Gerhard Jelinek auch die Betriebsamkeit der österreichischen Nachforschungen über die Hintermänner des Sarajewo-Attentats. Man hat ja sofort nach dem Mord den Außenamts-Sektionsrat Friedrich v. Wiesner nach Bosnien geschickt. Am 13.Juli übermittelt er seinen Chefs ein chiffriertes Telegramm mit den Ermittlungsergebnissen: Die Mordwaffe stamme zwar eindeutig aus dem serbischen Militärdepot in Kragujevac, „aber Mitwisserschaft serbischer Regierung an der Leitung des Attentats oder dessen Vorbereitung und Beistellung der Waffen (ist) durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten...“

Wiesner berichtet nur das, was er vom lokalen Untersuchungsrichter Leo Pfeffer erfahren hat. Samuel Lyman Atwood Marshall urteilt in seinem Buch „First World War“ bitter: „Keine Affäre mit dieser Tragweite wurde jemals so schlecht untersucht.“ Die meisten verhafteten Attentäter schweigen, nur Danilo Ilić plaudert aus Angst vor dem Galgen.

Mit Wiesners Telegramm ist zunächst jeder Grund weggefallen, Serbien ein Ultimatum zu stellen. Erst nach und nach ergibt sich, dass die Mordaktion sehr wohl in Belgrad geplant wurde, allerdings von der geheimen militärischen Gruppe Schwarze Hand, an deren Spitze der Oberst Dragutin Dimitrijević, mit Tarnnamen Apis, steht. Der Geheimdienstchef der serbischen Armee mit der Mitgliedsnummer6 in der Schwarzen Hand träumte von einem Zusammenschluss aller Serben in einem Staate, war Drahtzieher des Mordanschlags und sorgte für die notdürftige Ausbildung der jungen Attentäter.

„Verschwörer Dimitrijević“, schreibt Jelinek, „überlebte Franz Ferdinand kaum drei Jahre. Der Geheimdienstchef wurde 1917 von der serbischen Regierung auf Betreiben von Ministerpräsident Nikolai Pašić wegen Hochverrats angeklagt und in Saloniki hingerichtet. Er wusste zu viel...“ (hws)

Nächsten Samstag:

Der Nazi-Sturm aufs Bundeskanzleramt 1934

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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