Zeitungsgründer als Teilzeitjob

Bescheidenheit macht’s möglich: Florian Schmitz (3. v. l.) und Jan Filipzik (rechts neben ihm) machen mit einem Miniteam (Kim Tholl, Hannah Florian, Sophie Blasberg) die Zeitung „Talwaerts“.
Bescheidenheit macht’s möglich: Florian Schmitz (3. v. l.) und Jan Filipzik (rechts neben ihm) machen mit einem Miniteam (Kim Tholl, Hannah Florian, Sophie Blasberg) die Zeitung „Talwaerts“.Talwaerts
  • Drucken

Zwei junge Journalisten haben "absolut gegen den Trend" in Wuppertal eine Zeitung gegründet: "Talwaerts" erscheint nur auf Papier. Keine Online-Ausgabe. Keine Anzeigen. Das Erfolgsrezept: Fleiß und Bescheidenheit.

Das Erste, was einem durch den Kopf geht? Die trauen sich was! Und tatsächlich: Das hat schon lange niemand mehr gewagt: Eine Zeitung zu gründen, die nur auf Papier erscheint. Klingt retro? Florian Schmitz und Jan Filipzik sehen gerade darin eine große Chance. Und die beiden werden mit dem Investment in ihre neue Wochenzeitung „Talwaerts“, die sie aus ihren privaten Mitteln finanzieren, wohl keine Verlustbeteiligung im Auge gehabt haben. 31 und 33 Jahre sind Filipzik und Schmitz alt – und gehören damit zur Generation Internet. Trotzdem machen sie etwas, das „absolut gegen den Trend“ ist, wie Schmidt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ feststellt.

Er und sein Kompagnon hätten sich „natürlich“ gedanklich auch mit der Gründung eines Onlinemediums auseinandergesetzt, haben Zahlen studiert, den Markt beobachtet: „Und da sind wir zum Schluss gekommen, dass sich eine digitale Zeitung für Wuppertal nicht lohnen würde.“ Die 350.000-Einwohner-Stadt habe eine „nur zart bestückte“ Printlandschaft: Bei der „Westdeutschen Zeitung“ haben die Zeitungsgründer einst volontiert, dazu gibt's noch das Anzeigenblatt „Wuppertaler Rundschau“.

Also erscheint „Talwaerts“ auf Papier – und das nicht täglich (wie es online nötig wäre), sondern wöchentlich. Die Inhalte werden nicht online gestellt, denn: „Welcher Metzger verschenkt sein Fleisch?“ Womit wir schon bei der nächsten ungewöhnlichen Entscheidung wären: „Ohne Anzeigen“ prangt in einem grünen Label auf dem Titelblatt. Man wolle eben nur „einhundert Prozent Journalismus“, so das Motto. „Der Verzicht auf Anzeigen gibt uns die Unabhängigkeit zurück, die Journalismus in vielen Bereichen abhandengekommen ist. Wir müssen uns vor niemandem rechtfertigen.“


Freiheit als Knochenjob. Klingt gut, aber wie finanziert sich dann dieses Abenteuer? 1,90Euro kostet ein Exemplar. Die erste Ausgabe (erschienen am 27.Juni) hatte eine Auflage von tausend Stück, „ein paar hundert“ seien auch verkauft worden, sagt Schmitz. Genug für einen kleinen Gewinn.

Wie das geht? Nicht ohne Bescheidenheit. Die Beiträge stammen entweder von freien Mitarbeitern oder aus der Feder der beiden Gründer Filipzik und Schmitz. Die zwei haben in den vergangenen Wochen und Monaten auch persönlich die Werbetrommel für „Talwaerts“ gerührt, haben sich am Info-Stand die Füße in den Bauch gestanden, haben die Abo-Exemplare selbst zur Post getragen und die derzeit zwölf Verkaufsstellen abgeklappert, um dort den Rest abzuliefern. Das klingt nach einem Knochenjob. Trotzdem arbeitet Filipzik noch halbtags in einer Unternehmenskommunikation, Schmitz ist freiberuflicher Musikjournalist. Noch kann „Talwaerts“ die zwei nicht ernähren.

Das macht Schmitz aber nichts aus: „Ich wollte immer Journalist werden und habe schon als Kind eine eigene Zeitung gemacht“, erzählt er. In Wuppertal hat er alle Stadien durchlaufen, die es im Printsektor gibt: Praktikant, freier Mitarbeiter, dann Pauschalist im Lokalteil der „Westdeutschen Zeitung“, kurz auch bei der „Rheinischen Post“. Dann kam die Idee von der eigenen Zeitung, und vielleicht hat auch der nahende Dreißiger ein wenig nachgeholfen: „Wir hatten das Projekt schon länger geplant. Und wir dachten: Wenn wir es jetzt nicht machen, dann ärgern wir uns, wenn wir in Rente sind, dass wir es nicht gemacht haben.“ Da habe er dann dieses Bild von sich gesehen: im Schaukelstuhl sitzend, unglücklich.


Politik und Tiergeschichten. Und wie schaut nun dieses Anti-Depressions-Mittel aus? Das Zeitungsdesign ist schlicht und übersichtlich. Die Inhalte auf 16 Seiten sind auf die Interessen der Wuppertaler zugespitzt: von der Reportage über das zur hippen Wohngegend avancierte „Asi-Viertel“ („Asi“, erklärt Schmitz, kommt von asozial), ein wenig Stadtpolitik, Berichte über Missstände beim Amt (sechs Stunden Wartezeit), ein Interview über Behinderung und Sex. „So ein Thema fassen die Zeitungen nicht an“, glaubt Schmitz, „weil da fällt einem ja fast das Frühstücksbrötchen aus der Hand.“ Also werde „Talwaerts“ über Themen schreiben, über die „keiner schreibt“. Aber nicht nur: Eine Tiergeschichte gibt es auch – über Lucky, das Schaf, das glaubt, es wäre ein Hund. Ein bissl Mainstream muss offenbar sein.

ERSCHIENEN

Am 27. Juni
erschien die erste Ausgabe der regionalen Wochenzeitung „Talwaerts“ in einer Auflage von 1000 Stück in Wuppertal.

Florian Schmitz und Jan Filipzik
haben die Zeitung gegründet. Sie verzichten zugunsten der Unabhängigkeit auf Anzeigen und wollen das Projekt allein durch den Verkauf (1,90Euro) finanzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.