Nicht ohne Papas Pistole

Familie Strong auf dem Schießstand: Mutter Bea fragt Tochter Brenna: „Do you like it?“ Sie antwortet: „Like it? I love it!“
Familie Strong auf dem Schießstand: Mutter Bea fragt Tochter Brenna: „Do you like it?“ Sie antwortet: „Like it? I love it!“Illustration: Lorna Bergman
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Ein Kinderbuch, das den Nachwuchs Waffen tragender Eltern an das Thema heranführen soll, sorgt in den Vereinigten Staaten für Aufsehen und Kritik.

„Messer, Schere, Feuer, Licht ist für Kinderhände nicht“, sagt ein Sprichwort. Für Brian Jeffs und Nathan Nephew dürfte sich nur schwer erschließen, was an diesen Haushaltsgegenständen problematisch sein soll, denn die beiden US-Autoren propagieren das frühzeitige Training des Nachwuchses im Umgang mit Handfeuerwaffen. Und haben in den vergangenen Wochen mit ihrem Kinderbuch „My Parents Open Carry“ („Meine Eltern tragen ihre Waffen sichtbar“) jede Menge Reaktionen ausgelöst. Dabei gibt es das Buch schon seit knapp drei Jahren, in den Fokus der Öffentlichkeit rückte es allerdings erst, als die Late-Night-Talker Bill Maher und Stephen Colbert jüngst ein paar pointierte Bemerkungen dazu machten.

Das Tragen von Waffen ist in den USA erst ab 18 Jahren erlaubt, doch im Beisein ihrer Eltern dürfen Kinder mit Pistolen schießen. In „My Parents Open Carry” beschreibt die 13-jährige Brenna einen ganz besonders schönen Samstag mit ihren Eltern Bea und Michael Strong – wörtlich also der Familie Stark, Subtilität ist die Sache der Autoren nicht –, an dem diese sie für gute Noten mit ihrer ersten eigenen Handfeuerwaffe belohnen wollen. Vom Aufstehen bis zum gemeinsamen Schießtraining lässt die behütete Tochter ihre Leser an den kleinen und großen Dingen teilhaben, die glücklichen, waffentragenden Familien in einer Kleinstadt des mittleren Westens passieren.


Versteht jedes Kind. Dazu gehört, dass Mama und Papa des Morgens ihre Pistolen aus dem Waffenschrank nehmen und sie sorgfältig in ihrem Holster verstauen, ehe sie mit dem Kind das Haus verlassen. Dem sie immer wieder geduldig erklären, wie wichtig das offene Waffentragen ist: „Wenn Sekunden zählen, ist die Polizei Minuten entfernt“, lautet das stetig wiederholte Credo von Papa Richard. Und ein Mensch, der sich nicht für die eigene Sicherheit verantwortlich fühlt, lebt nach seiner Weltanschauung nicht nach dem natürlichen Recht. Denn jeder Mensch hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich und seine Angehörigen zu schützen – und das versteht natürlich auch das Kind: „Brenna dachte, wie seltsam es doch sei, dass so viele Menschen diese schlichte Wahrheit nicht verstehen.“

Schlicht sind auch die anderen Begegnungen, die die Stark-Familie im Lauf des Tages so hat: Da ist die Mutter, die am Supermarkt ängstlich ihr Kind an sich drückt, als die bewaffneten Eltern auf sie zusteuern. Aber nachdem Papa Strong ihr erklärt hat, dass Waffen mehr Leben retten als beenden und Pistolen lediglich Werkzeuge wie Kettensägen und Autos auch sind, begreift sie endlich die Zusammenhänge. Zur Freude Vater Strongs, der seinem Kind dann erklärt, dass er sich immer bemühe, einen Funken Verstand in die Menschen zu pflanzen, wenn sie nur zuhören. Wenn sie aber nicht einmal das tuen, sei er machtlos.

Im Moment hören ihm, oder besser seinem geistigen Schöpfer, eine Menge mehr Menschen zu als noch bis vor Kurzem. „In den vergangenen Wochen haben wir rund 1500 Exemplare verkauft“, erklärt Brian Jeffs im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, „in den ersten zwei Jahren seit der Veröffentlichung waren es lediglich 300 oder 400.“ Herausgekommen ist das Buch 2012 im White-Feather-Verlag, in dem hauptsächlich Schriften christlich-konservativer Autoren publiziert werden. Das jüngste verlegte Werk trägt den Titel „Raising Boys Feminists Will Hate“ – „Wie erziehe ich einen Buben, den Feministinnen hassen werden“. Nationale Aufmerksamkeit erzielen die hier publizierten Werke im Normalfall nicht. „Wir haben solche Reaktionen nicht erwartet, da wir das Buch in einem schmalen Segment veröffentlicht haben“, so Jeffs, „aber wir waren davon ausgegangen, dass es die Anti-Waffen-Lobby inbrünstig hassen würde, wenn es je über diesen Markt hinausgehen würde.“


Häme und Zustimmung. Mit dieser Annahme lag er richtig, die Reaktionen reichen von Kopfschütteln über Zustimmung bis hin zu blankem Entsetzen, die schlichte Strickart des Buchs sorgt aber auch für viel Häme. Geschrieben habe er es, weil es zwar jede Menge Pro-Gun-Bücher für Erwachsene zum Thema Waffen gebe, aber nichts kindgerechtes. Sein Ko-Autor und er setzen sich neben der Aufklärung für Kinder auch für die Rechte ihrer Waffen tragenden Eltern ein. Als Mitbegründer der Internetplattform Michiganopencarry.org engagiert sich Jeffs für das offene Tragen von Waffen, ein in der amerikanischen Gesellschaft umstrittenes Verhalten. Grundsätzlich wird in den USA zwischen dem Waffenbesitz – etwa im Haus – und dem Tragen in der Öffentlichkeit unterschieden. Je nach Staat gibt es unterschiedliche Regelungen, am striktesten ist das verdeckte Tragen von Waffen – das Concealed Carry – geregelt, das nur in fünf Staaten ohne Auflagen erlaubt ist, Open Carry dagegen in 44. Die Open-Carry-Befürworter argumentieren neben der abschreckenden Wirkung vor allem damit, ihr in der Verfassung verankertes Recht auf Selbstverteidigung auszuüben und damit zu schützen. Denn wie Brennas Vater im Buch erklärt: „Ein Recht, das nicht ausgeübt wird, ist ein verlorenes Recht.“ Die Gegner des offenen wie verdeckten Waffentragens in der Öffentlichkeit argumentieren dagegen mit Zahlen wie den knapp 12.000 Menschen, die jährlich durch Waffengewalt in den Vereinigten Staaten ums Leben kommen – darunter mehr als 2500 Kinder.

Das Buch

„My Parents Open Carry“
Von Brian Jeffs und Nathan Nephews

34 Seiten, 11,67 Euro

White-Feather-Verlag

Der zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verbietet als Teil der Bill of Rights der Bundesregierung, das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen einzuschränken. Er wurde mit den anderen ersten zehn Zusatzartikeln am 15.Dezember 1791 verabschiedet. Das genaue Ausmaß dieses Verbots wird in den USA diskutiert.

Im Kinderbuch „My Parents Open Carry“ wird der Originaltext des Artikels abgedruckt: „A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed.”

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2014)

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