Bildungsziele im Kindergarten? „Zu großer Druck“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Psychologin Birgit Hartel wünscht sich, dass Volksschullehrer und Kindergartenpädagogen teilweise gemeinsam ausgebildet werden. Beim Gedanken an Tests im Kindergarten treibt es ihr den Angstschweiß auf die Stirn.

Die Presse: Die Regierung kündigte an, den Übergang vom Kindergarten zur Volksschule zu verbessern. Gab es hier bislang überhaupt gravierende Probleme?

Birgit Hartel: Bislang waren Kindergarten und Schule klar getrennte Systeme. Das hat Schwierigkeiten mit sich gebracht. Insofern ist es ein gutes Vorhaben der Regierung. So können Bildungs- und Lernbiografien kontinuierlich gestaltet und Frühinterventionen – wie etwa Sprachförderungen – langfristig fortgeführt werden.

Welche Nachteile bringt das bisherige Modell für die Kinder?

Sowohl die Über- als auch die Unterforderung eines Kindes ist Zeichen dafür, dass das Kind nicht auf seinem Entwicklungsniveau abgeholt wird. Beides ist schlecht.

Wie viele Kinder betrifft das?

Rein statistisch betrachtet sind 50 Prozent bis zwei Drittel der Kinder im Durchschnitt, was ihre Entwicklung und Intelligenz anbelangt. Im besten Fall muss man davon ausgehen, dass ein Drittel der Kinder beim Wechsel in die Schule nicht auf seinem Niveau gefördert wird.

Reicht es, wenn Volksschullehrer die Kindergärten besuchen – und umgekehrt?

Es ist alles zu begrüßen, was die Institutionen näher aneinander führt. Volksschullehrer sollten den Bildungsrahmenplan der Kindergärten kennen und wissen, welche Bildungsangebote es gibt. Umgekehrt sollten Kindergartenpädagogen wissen, was für die erste Klasse im Volksschullehrplan steht.

Was braucht es dazu?

Günstig wäre, wenn die Politik festlegen würde, dass es gemeinsame Fortbildungen für Kindergartenpädagogen und Volksschullehrer braucht. Ideal wäre es, wenn die beiden Berufsgruppen zum Teil gemeinsam an den pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden. Derzeit gibt es im pädagogischen System leider immer noch klare Hierarchien. An der Spitze stehen AHS- und BHS-Lehrer, gefolgt von NMS- und Hauptschullehrer, dann kommen Volksschullehrer und erst zum Schluss die Kindergartenpädagogen.

Und was halten Sie von Bildungszielen für den Kindergarten?

Sobald konkrete Ziele vorgegeben werden, ist zu befürchten, dass für die Kindergartenkinder ein zu großer Druck entsteht – von Eltern, Volksschullehrern, Kindergartenpädagogen. Es treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn, wenn ich daran denke, dass Fünfjährige in England Leistungstests machen müssen und deshalb weinen.

In dieser neuen Schuleingangsphase soll mehr Augenmerk auf Sprachförderung gelegt werden. Kann das Aufgabe der Kindergartenpädagogen sein?

Das kann und darf es sein. Grundsätzlich braucht es keine externen Sprachlehrer, die die Pädagogen unterstützen. Denn Kinder lernen über Bindung. Die Pädagogen sollten in puncto Sprachförderung aber von Experten geschult werden. Für Kindergartenpädagogen wird es aber schwer, wenn die Kinder erst mit fünf Jahren in den Kindergarten kommen.

ZUR PERSON

Birgit Hartel (34) ist die wissenschaftliche Leiterin des Wiener Charlotte-Bühler-Instituts für praxisorientierte Kleinkindforschung. Der Übergang vom Kindergarten zur Volksschule ist einer ihrer Schwerpunkte. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Frühförderung, Autonomie: Ein Bildungspaket zur Ablenkung

Das Dauerthema Gesamtschule sollte keinen Platz bei der Regierungsklausur haben. Die Regierung präsentierte lieber ein Sechs-Punkte-Programm.
Schule

Regierung: Kinder sollen Deutsch möglichst früh beherrschen

Weiters sollen nach dem Sechs-Punkte-Programm Kinder von fünf bis sieben Jahren besser vom Kindergarten in die Schule begleitet werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.