Die ganze Familie in einem Bett

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Immer mehr und immer größere Kinder schlafen bei ihren Eltern. Während die Anhängerschaft des „Familienbetts“ wächst, warnen Psychologen.

Auch Experten müssen manchmal klein beigeben. „Meine Frau und ich haben schlaflose Nächte damit verbracht, abwechselnd am Bett unseres Sohnes zu sitzen, um ihn zum Schlafen zu bringen“, erzählte Jesper Juul, dänischer Erziehungsguru, der „Presse“. „Und wie ist das ausgegangen?“ – „Wir haben ein größeres Ehebett gekauft.“

Juuls Erfahrung dürfte Wasser auf die Mühlen zahlreicher Eltern sein. Denn was in vielen Familien an der Tages- bzw. Nachtordnung ist, gilt in der westlichen Welt insgesamt noch immer als Tabuthema: dass Kinder im Bett ihrer Eltern schlafen – und zwar nicht nur im Kleinkindalter (sehr häufig), sondern in vielen Fällen auch noch im Volksschulalter und sogar bis in die Pubertät.

Bisher trauten nur wenige „Betroffene“, sich zu outen. Denn Kinder im Bett der Eltern sind hierzulande negativ besetzt: Die Praxis gilt als unnatürlich, als behindernd für die Entwicklung der Kinder, als Symbol einer gestörten Partnerschaft zwischen den Eltern und als Synonym für allzu verwöhnte Kinder, die nicht einmal im Schlaf mehr ihre Grenzen respektieren.

Dennoch ist das „Familienbett“ im Kommen. Einer Studie in der US-Zeitschrift „Infant and Child Development“ zufolge gaben 1993 knapp 5,5 Prozent der Eltern zu, das Bett mit ihren Kindern zu teilen. Im Jahr 2000 waren es bereits 13 Prozent. Berichte aus Deutschland sprechen davon, dass bis zur Hälfte der Volksschüler zumindest zeitweise im Bett der Eltern schläft.

Befürworter des „Familienbetts“ argumentieren mit dem kulturellen Kontext: Bei Naturvölkern oder auch in Gesellschaften, in denen das eigene Kinderzimmer aus Platzgründen nicht unbedingt an der Tagesordnung ist, sei diese Praxis gang und gäbe. Kinder hätten nicht nur in den ersten Lebensjahren das Bedürfnis nach Nähe, sondern auch noch mit fünf oder sechs, wenn die meisten eine große „Angstphase“ durchleben, mit Furcht vor Monstern oder Dunkelheit.

Danach sollte aber wirklich Schluss sein, meinen die meisten Kinderpsychologen. Ganz sicher nicht akzeptabel seien Fälle wie der eines 17-Jährigen, der am Wochenende bei der Freundin, unter der Woche dann aber wieder bei der Mama im Bett schläft (zitiert aus der Praxis einer Therapeutin). Wobei sich die Frage stelle, von wem dieser Wunsch tatsächlich komme. „Der Impuls, das Bett mit den Eltern zu teilen, geht in den seltensten Fällen von einem größeren Kind aus“, meint etwa Brigitte Cizek, Leiterin der Bundesanstalt für Kindergartenpädagogik in Floridsdorf. Oft erfülle das Kind nämlich die Funktion eines Symptomträgers: für Eltern, die nicht loslassen könnten oder die Auseinandersetzung über heikle Themen wie Sex in der Partnerschaft mittels eines „Puffers“ einfach umgingen.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spiele auch die Zunahme der Scheidungsraten, meint die Familientherapeutin Sabine Völkl-Kernstock. „Da wird es oft als adäquat empfunden, dass der verlassene Teil der Familie in der ersten Trauerphase im wahrsten Sinn des Worts näher zusammenrückt – allerdings nur kurz, sonst bekommen die Kinder eine andere Position.“ Schwierig wird es auch, wenn ein neuer Partner auftaucht und das Kind für diesen das Bett räumen muss.

Bei aller Sympathie für Ausnahmen – etwa wenn ein Kind krank ist – oder für Kuschelmomente beim Aufwachen und Einschlafen sorgen sich Psychologen daher vor allem um den Effekt des „Co-Sleeping“ auf ältere Kinder. In gewisser Weise werde die Intimsphäre des Kindes verletzt und damit auch die Chance auf eine wirklich eigenständige Entwicklung eingeschränkt, lautet der Tenor: „Ein selbstbewusstes Kind will mit sieben nicht mehr im Bett der Eltern schlafen“, meint Cizek.

PRO UND KONTRA

Befürworter des Familienbetts argumentieren, dass die Praxis des Co-Sleeping den Kindern Nähe und Geborgenheit vermittelt. Das sei nicht nur bei kleineren Kindern wichtig, sondern durchaus bis ins Volksschulalter. In anderen Kulturen sei dies überdies gang und gäbe.

Gegner des Co-Sleeping teilen sich in Hardliner und Gemäßigte. Erstere finden, dass Kinder im Bett der Eltern überhaupt nichts verloren haben (auch aus Gesundheitsgründen wie dem plötzlichen Kindstod), Letztere gestehen ein Familienbett etwa bis zum Alter von zwei zu. Danach aber sei es für die Entwicklung eines selbstständigen Kindes wichtig, beim Schlafen seinen abgegrenzten Bereich zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2008)

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