Hygiene: Ein bisschen Dreck schadet nicht

Baby wird gebadet
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In den ersten Lebensjahren braucht das Immunsystem besonders viel Praxis - und den Kontakt zu Bakterien und Keimen. Die "richtige" Art Schmutz hilft sogar gegen die Entstehung von Allergien.

Elsa und Karola sind gute Bekannte, seit sie ihre Babys gemeinsam in der Rückbildungsgymnastik durch die Luft geschwenkt haben. Heute sind die Kinder irgendwo zwischen Krabbel- und Wackelalter – und auch das Verhältnis der beiden Frauen steht auf nicht mehr ganz so festen Beinen. Was die beiden entzweit, ist ihre unterschiedliche Einstellung zu Sauberkeit und Hygiene. Während Elsa täglich den Besen schwingt, findet Karola nichts dabei, wenn ihr Bub hin und wieder selbst den Boden mit seinem Windelhintern aufwischt. Genau deshalb geht Elsa nicht mehr sehr gerne zu Karola auf Besuch – und umgekehrt.

Immunologen würden sich in dieser Kontroverse auf die Seite der entspannteren Hausfrau schlagen. Zahlreiche Studien legen nämlich nahe, dass ein bisschen Dreck noch keinem Kind geschadet hat. Ganz im Gegenteil: Die „richtige“ Art Schmutz kann sogar helfen, die Anfälligkeit für Allergien oder Asthma zu reduzieren. Durch den Kontakt mit gewissen Keimen, Erregern und auch Würmern lernt das Immunsystem nicht nur die passende Antwort im Umgang mit „Feinden“, sondern auch, welche Fremdstoffe es besser ignorieren sollte. Wird diese Fähigkeit nicht ausreichend trainiert, kann das Immunsystem auch auf harmlosere Stoffe so übertrieben reagieren, dass es zu Allergien kommt.

Für Elisabeth Förster-Waldl, Leiterin der Ambulanz für Störungen der Immunabwehr an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien, entscheiden die ersten Lebensjahre. „Unser Immunsystem funktioniert wie ein Gedächtnis. Was es einmal gesehen hat, dagegen kann es sich besser schützen.“

Obwohl sie „sehr viel vom natürlichen Austausch von Keimen“ hält, wird sie vorsichtig, wenn es um die Frage geht, welcher Schmutz denn eigentlich „guter Schmutz“ ist. „Man sollte nicht so weit gehen, dass man Kinder Hundekot angreifen lässt“, meint sie. „Ich würde nicht wollen, dass mein Kind mit Bandwurm infiziert wird.“

Ansonsten empfiehlt Förster-Waldl einen möglichst innigen Kontakt zur Natur. „Viel zu viele Stadtkinder wachsen fast ausschließlich in geheizten Innenräumen auf. Ein Park oder ein Wald ist aber auch in einer Großstadt leicht zu erreichen.“ Dort sollten die Kinder ruhig im und mit dem Gatsch spielen dürfen, ohne dass sofort ein feuchter Einweg-Waschlappen zum Einsatz kommt.

Förster-Waldls amerikanischer Kollege Joel V. Weinstock, Direktor der Abteilung für Gastroenterologie im Tufts Medical Centre in Boston, geht noch weiter. „Kinder sollen im Dreck barfuß gehen, sie sollen im Dreck spielen – und sie sollen nicht unbedingt ihre Hände waschen müssen, bevor sie essen“, wurde er vor kurzem in der „New York Times“ zitiert.

Vorbeugung am Bauernhof

Diese immunologische Idylle wird gemeinhin mit Bauernhöfen in Verbindung gebracht – und das offenbar zu Recht. Landkinder, die regelmäßig in Kontakt mit Stalltieren, deren Bakterien und Würmern kommen, sind laut Aussage von Weinstock wesentlich weniger anfällig für Allergien und Erkrankungen des Autoimmunsystems. Dies untermauert jetzt auch die „Kuhstallstudie“ der Ludwig-Maximilians-Universität in München, für die Bauernhofkinder in Bayern, Baden-Württemberg, Tirol und der Schweiz beobachtet wurden. Dabei wurden zwei Keime identifiziert, die in Stalldreck und Rohmilch vorkommen und offenbar die Immunabwehr der Kinder so trainieren, dass diese kaum Allergien entwickeln.

Die Frage, ob eine Woche „Urlaub am Bauernhof“ also auch Stadtkindern über Allergien hinweghelfen könnte, lässt sich laut Elisabeth Förster-Waldl allerdings nicht so einfach beantworten. Denn ausschlaggebend ist, wie häufig und regelmäßig Kinder mit den entsprechenden Erregern rund um Kuh & Co. in Kontakt kommen. „Es gibt nur eine klare Beweislage für Kinder, die gleichmäßig übers Jahr dem Kontakt mit dem bakteriellen Oberflächenstoff LPS ausgesetzt sind“, sagt Förster-Waldl. Außerdem habe sich gezeigt, dass häufige Aufenthalte auf Bauernhöfen eher dem Schutz vor Allergien dienten als der Therapie. Doch auch für diejenigen, die die Stadt nicht einmal der Gesundheit ihrer Kinder zuliebe mit dem Land vertauschen wollen, gibt es eine Lösung: Sie können Joel Weinstocks Rat befolgen – und zwei Hunde und eine Katze anschaffen...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2009)

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