„Was? Er macht noch in die Windel?“

Bei kaum einem Kinderthema gibt es so viel Druck wie bei der „Sauberkeit“.

Erziehungstraditionalisten und Großmütter – nicht selten synonym zu verstehen – haben zu dem Thema „Sauberkeit“ eine klare Meinung: Sie schlagen angesichts der derzeitigen Glaubenslehre die Hände über dem Kopf zusammen. Denn diese besagt: Man soll ein Kind beim Gang aufs Klo nicht hetzen, soll keinen Druck ausüben und soll es ihm selbst überlassen, wann es so weit ist.

Obwohl viele Mütter mit dieser gelassenen Einstellung sympathisieren, sind auch sie nicht ganz immun gegen Druck von außen. Der kommt einerseits von Kindergärten, die Kinder nur dann aufnehmen, wenn sie „sauber“ sind – wobei gemeinhin das Alter von drei Jahren als Grenze gilt. Er kommt aber auch von anderen Müttern, die die Klippe des „Reinwerdens“ schon erfolgreich umschifft haben und sich hin und wieder eines leicht triumphierend angehauchten „Was? Er macht noch in die Windel? Mit vier?“ nicht erwehren können. Was auch bei der entspanntesten Mutter irgendwo einen Nerv trifft. Gibt es doch mittlerweile eine neokonservative Denkschule, die lasche Topfmanieren mit unfähigem Erziehungsstil gleichsetzt. Weshalb Windelkontroversen das Zeug zu Grundsatzfragen haben.

Halbherzigkeit bringt nichts

Obwohl es wenig Sinn hat, ein Kind zu früh auf den Topf oder auf den Kinderklositz zu zwingen, schadet es wahrscheinlich auch nicht, wenn man den Nachwuchs ab dem Alter von eineinhalb Jahren grundsätzlich mit der Möglichkeit vertraut macht, dass es ein Leben ohne Windelhose gibt. Für die „Windelfrei“-Expertin Lini Lindmayer (siehe oben) hängt dabei viel von der Einstellung der Eltern ab. Wenn diese dem Kind signalisieren, dass sie ihm zutrauen, diesen nächsten Schritt in Richtung Unabhängigkeit problemlos zu bewältigen, reagiere das Kind kooperativ. Erkennt das Kind aber in der elterlichen Botschaft eine gewisse Halbherzigkeit, stehen die Zeichen eher auf Misserfolg. Besonders zu empfehlen ist für derartige Testläufe im Übrigen der Sommer, wo es nicht besonders viel ausmacht, wenn mal jemand danebenmacht. do

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2009)

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