Erziehung: "Drohen fördert nicht das Verstehen"

(c) FABRY Clemens
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Viele Verhaltensmuster bergen schon Gewalt in sich, sagt Trainerin Gabriele Grunt. Alternativ dazu sollten Eltern versuchen zu verstehen, was die Bedürfnisse ihrer Kinder sind.

Die Presse: Zuletzt war viel von Gewalt in der Erziehung die Rede. Wie geht es anders?

Gabriele Grunt: Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg geht davon aus, dass wir in unserer Gesellschaft viele Verhaltensmuster gelernt haben, die Gewalt in sich bergen: drohen, fordern, befehlen, sich rechtfertigen, beschämen. All das fördert nicht das Verstehen und Verstandenwerden.

Im Umgang mit Kindern scheinen manche keine Alternative zu kennen.

Der Alltag mit Kindern ist einfach herausfordernd. Es ist oft zeitlich schwierig, man bekommt wenig Unterstützung, und es fehlen auch die Vorbilder. Darum haben viele einfach keine Vorstellung, wie es anders gehen kann.

Wie legt man das dann in der Erziehungsarbeit um?

Wir lernen in Kursen, machbare Bitten zu formulieren, zu unterscheiden zwischen dem Grund, warum man etwas will, und den Strategien, mit denen man es sich erfüllt. Es ist wichtig, eine Balance zu finden zwischen Bedürfnissen des Erwachsenen und des Kindes. Viele schrauben ja die eigenen Bedürfnisse zurück, bis sie explodieren. Gewaltfreie Kommunikation ist kein passives Zulassen und nicht nur lieb lächelnd bitten und schauen, was passiert. Es geht auch darum, für eigene Bedürfnisse einzutreten – aber nicht, zu befehlen.

Sind das dann bestimmte Worte?

Die Worte können eine Hilfe sein, aber es kommt vor allem auf die Haltung an. Habe ich eine Haltung, die mein Gegenüber wirklich als Menschen respektiert?

Wie erkennt man, was ein Kind gerade will oder braucht?

Wir üben, uns bewusst zu werden, dass das Kind einen Grund für sein Verhalten hat. Oft macht ein Kind etwas, und wir wollen einfach nur, dass es etwas anderes macht. Darum üben wir, das Kind zu fragen, was eigentlich das Bedürfnis dahinter ist. Wenn wir ein Verhalten Trotz nennen, braucht ein Kind etwas ganz dringend. Oft ist das etwa Selbstbestimmung. Will das Kind, dass ich Zuckerln kaufe? Dahinter könnte der Wunsch stecken, mitzubestimmen. Wenn ich das weiß, kann ich ihm Gelegenheit dazu geben. Das kann zum Beispiel auch etwas ganz Kleines ein, etwa beim Anziehen die Farbe der Mütze auszusuchen.

Wenn das Kind im Supermarkt weint, hilft mir das aber wenig.

Ich brauche Klarheit: Ich werde das Zuckerl nicht kaufen. Und ich sage, warum ich das nicht will. Aber es hilft auch das Verstehen, dass ich mich dem Kind zuwende. Bist du jetzt sauer, weil du auch einmal bestimmen wolltest? Es ist erstaunlich, wie schnell Kinder sich beruhigen. Kinder sind es oft gewohnt, ignoriert oder angeschrien zu werden. Aber nicht, dass jemand kommt und sich für sie interessiert.

Also muss man auch begründen, warum man etwas nicht will?

Ja, schon. Nur viele Eltern wissen es dann einfach nicht. Ich sage zum Beispiel, wir haben Zuckerln zu Hause, ich mag keine kaufen. Magst du aussuchen, was du zum Abendessen haben willst?

Das sehen Kinder ein?

Wenn Kinder merken, dass ich es ernst meine, akzeptieren sie es meistens. Außer, sie brauchen es gerade, verstanden zu werden. Oft hilft es auch, eine Handlungsalternative anzubieten.

Hat in diesem Konzept so etwas wie Sanktion Platz?

Nein, weil ich damit andere dazu bringe, Sachen zu tun, die sie nicht wollen. Das rächt sich irgendwann.

Muss man nicht reagieren, wenn ein Kind etwas anstellt?

Reaktion hat Platz, auch eine sehr deutliche. Kindern klar sagen, was ich haben will, was nicht. Und auf altersgemäße Art auch, warum.

In manchen Situationen kann man aber nicht reden, etwa wenn Gefahr droht, ein Kind zum Beispiel fast vors Auto läuft.

Wenn es notwendig ist, um Bedürfnisse zu schützen, setze ich Handlungen. Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, greife ich sofort ein – schützend, nicht strafend.

Und wo beginnt dann Gewalt?

Es beginnt für mich dort, wo ich mir auf Kosten eines anderen Menschen ein Bedürfnis erfülle. Und in weitere Folge, wenn ich seine Würde verletze oder ihn gar körperlich verletze. Eigentlich beginnt es schon damit, wenn ich mich nicht dafür interessiere, was das Kind eigentlich will.

ZUR PERSON

Gabriele Grunt(geboren 1972) ist Trainerin in der Erwachsenenbildung nach dem Konzept der Gewaltfreien Kommunikation Marshall Rosenbergs. Dabei ist sie unter anderem auch spezialisiert auf den Umgang mit Kindern.
Infos unter: www.gewaltfrei.at [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2014)

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