Ein Gesetz, das Kinder von Gewalt befreite

(c) Bloomberg (Tomohiro Ohsumi)
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Weltweit war Österreich der vierte Staat, der ein absolutes Gewaltverbot in der Erziehung einführte. Es folgte ein deutlicher Wandel des Erziehungsstils. Vom Vorreiterland Schweden ist Österreich dennoch noch weit entfernt.

Die heutigen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen dürften Gewalt in der Erziehung gar nicht kennen. Denn vor 25 Jahren wurde in Österreich das absolute Gewaltverbot in der Erziehung eingeführt. Klapse, Ohrfeigen und Schläge sollte es seither nicht mehr geben. Gänzlich verschwunden sind sie in der Erziehung zwar bis heute nicht, die Situation hat sich aber merklich verbessert.

Der Wandel des Erziehungsstils – in Richtung eines gewaltfreien Umgangs – ist auch statistisch eindeutig erkennbar. Vergleiche der Jahre 1977 und 2014, die erst kürzlich vom Familienministerium präsentiert wurden, zeigen, wie sich die Einstellung der Österreicher verändert hat. Kaum jemand fand in den 1970ern etwas Schlimmes an einem „kleinen Klaps“. 85 Prozent stimmten der Aussage, dass ein solcher ab und zu „keinem Kind schadet“, uneingeschränkt zu, weitere zehn Prozent teilweise. Eine derart breite Akzeptanz von Gewalt gegen Kinder ist Geschichte. Einzelne halten den Klaps aber noch heute für völlig unbedenklich (16 Prozent) und andere für teilweise in Ordnung (36 Prozent). Das Kind mit der Hand zu schlagen hielten 1977 noch zwei Drittel für angebracht oder in Ausnahmefällen für zulässig. Heute sind noch 22 Prozent der Österreicher dieser Meinung. Auf die Finger zu schlagen, Ohrenziehen und Haarreißen war 1977 für 21 Prozent zumindest in Ausnahmesituationen okay, heutzutage ist es das noch für zwölf Prozent. Anstelle körperlicher Gewalt treten nun zum Teil andere Strafen. Kinder, die in der Gegenwart aufwachsen, erhalten laut Umfrage häufiger Verbote, sie werden öfter geschimpft oder mit gezieltem Schweigen bestraft.


Doch warum erziehen die heutigen Elterngenerationen eigentlich anders? Laut einer Fünf-Länder-Vergleichsstudie – Österreich, Deutschland, Schweden, Spanien und Frankreich – aus dem Jahr 2009 lässt sich der Rückgang von Gewalt in der Erziehung nicht allein mit einem allgemeinen gesellschaftlichen Werte- und Einstellungswandel erklären. Bewusstseinskampagnen und vor allem die Einführung eines Körperstrafverbots haben einen großen Anteil an dem neuen Erziehungsstil. Österreich war 1989 nach Schweden, Norwegen und Finnland der weltweit vierte Staat, der die körperliche Züchtigung von Kindern ausdrücklich gesetzlich verbot. Mittlerweile gibt es ein solches Gesetz in 33 Ländern.

In diesen Ländern wird laut Studie tendenziell weniger Gewalt an Kindern verübt. So auch in Österreich. Vorreiter Schweden, das ein Körperstrafverbot schon zehn Jahre vor Österreich einführte, bleibt aber unerreicht. Dort schaffen es drei Viertel der Eltern, ihr Kind völlig „körperstrafenfrei“ zu erziehen – sie schlagen ihre Kinder auch nicht in Extremsituationen. In Österreich gelingt das nur 30 Prozent, in Deutschland 28 Prozent (Zahlen aus 2009). Gleichzeitig ist der Anteil der Kinder, die „gewaltbelastet“ aufwachsen, die also körperliche Strafen wie eine schallende Ohrfeige, Schläge mit einem Gegenstand oder eine Tracht Prügel öfter als einmal bekommen, in Österreich deutlich höher als in Schweden (14 versus drei Prozent).

Die Ursachen für den Unterschied liegen in der Vergangenheit. Schon die jetzige Generation schwedischer Eltern erfuhr als Kind in den 1970er- und 80er-Jahren erheblich weniger Gewalt als die heutigen Kinder in Österreich und Deutschland. „Nur“ ein Viertel der vor 1962 geboren Schweden wuchs in einem gewaltbelasteten Umfeld auf. In Österreich waren es 51 Prozent.

Hierzulande setzte der Wandel des Erziehungsstils später ein. Dass es ihn definitiv seit Längerem gibt, zeigen die Daten persönlicher Gewalterlebnisse. Laut Umfrage des Familienministeriums sind 15- bis 30-Jährige seltener geschlagen, geohrfeigt und geprügelt worden als ältere Generationen. Außerdem wird Gewalt weniger oft aus Überzeugung ausgeübt. Fast 90 Prozent der Österreicher sehen eine gewaltfreie Erziehung als Ideal an. Passiert Gewalt, dann ist sie meist Folge von Überforderung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2014)

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