Wie man Kindern Leben, Tod und Krieg erklärt

Frau und Kinder mit Notebook auf einer Wiese
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Wie kommt das Fleisch auf den Tisch und der Opa in den Himmel? Experten sagen: Die Wahrheit ist auch Kindern zumutbar. Wichtig sind Begleitung – und die individuell richtige Dosis.

Wer hat die Sonne gebaut? Wieso legen Menschen keine Eier? Das Wunderbare an Kindern ist ihre Neugier. Die Aufmerksamkeit, die sie Dingen widmen, die für Erwachsene selbstverständlich oder nebensächlich geworden sind. Die klugen, manchmal absurden Fragen, die sie stellen, weil sie die Welt begreifen wollen.

Wieso muss es Winter werden? Wie kann ein Flugzeug fliegen? Auf Fragen wie diese fallen die Antworten relativ leicht. (Zur Auffrischung des elterlichen Wissens helfen zur Not kindergerechte Sachbücher, die es in unüberschaubar großer Anzahl gibt). Dann aber gibt es Kinderfragen, die Eltern nicht selten überfordern, weil man sie nicht so einfach beantworten kann – schon gar nicht, wenn das Gegenüber erst drei, sechs oder neun Jahre alt ist. Es sind die großen, schwierigen Themen. Krankheit, Tod, Krieg. Oder das Frühstück.


Skandal um das Ei. In den ersten Sachgeschichten in der „Sendung mit der Maus“ ging deren Schöpfer Armin Maiwald der Frage nach, woher das morgendliche Essen kommt. Und sorgte prompt für einen Skandal. Weil er zeigte (man schrieb die frühen Siebziger), dass das Ei nicht von einem glücklichen Bauernhofhuhn gelegt wurde, sondern von einem Tier in einer Legebatterie. Was wiederum die Frage aufwirft: Wie viel Realität verträgt ein Kind?

Die Wahrheit sei auch Kindern zumutbar, sagt dazu die Kinder- und Jugendpsychologin Valerie Reich-Rohrwig. „Sie leben in unserer Welt, und die ist nicht immer lustig und schön.“ Wobei, und auch das ist wichtig, „es immer eine Bandbreite gibt“. Wie viel man sagt. Wie man es formuliert.

Die Erkenntnis etwa, dass da ein totes Tier auf dem Teller liegt, ist auch für Erwachsene noch schwer zu verdauen. „Möglichst früh“ rät Reich-Rohrwig da zur Offenbarung. „Kein großes Thema draus machen, erklären: So ist der Kreislauf der Natur. Je unaufgeregter, desto weniger schlimm ist es für das Kind.“ Dass es Leute gibt, die sich dagegen entscheiden, darf man erwähnen. „Aber Kinder sollten wissen, woher Fleisch kommt. Versteckte Botschaften haben mit Lügen zu tun, und wir wollen ja auch nicht, dass uns das Kind anlügt. Es ist wichtig, Vorbild zu sein.“

Wenn das Kind dann erzählt, dass „der Markus im Kindergarten traurig ist, weil seine Oma gestorben ist“, sei der Zeitpunkt gekommen, um auch menschlichen Tod aufzugreifen, sagt Martina Leibovici-Mühlberger, Psychotherapeutin und Leiterin der Arge Erziehungsberatung und Fortbildung in Wien, die auch die „Kinderzeitung“ der „Kleinen Zeitung“ und „Presse“ bei schwierigen Themen berät.

Wie man die Frage dann wirklich beantwortet, hängt freilich von der eigenen Weltanschauung ab – und vom Alter des Kindes. Dem Toten gehe es gut, „er schaut uns zu“ hilft bei Kleinen, sagt Valerie Reich-Rohrwig. „Im Schulalter wissen sie dann schon, dass der Tote nicht auf einer Wolke sitzt.“


Verstörende Bilder. Schwierig sind auch Themen wie Gewalt oder Krieg. Wie und in welchem Alter soll man mit seinen Kindern darüber sprechen? Hier wird Eltern die Entscheidung ohnehin oft abgenommen. Im medialen Zeitalter lässt es sich kaum vermeiden, dass Kinder schon in jungen Jahren verstörende und sie überfordernde Bilder sehen: In Zeitungen, im Fernsehen, im Web. „Wir haben heute also nicht mehr unbedingt die Wahl, wann wir unsere Kinder an diese Themen heranführen“, so Leibovici-Mühlberger.

Kleinkinder in der präverbalen Phase sollte man nach Möglichkeit trotzdem davor bewahren, derartigen Bildern ausgesetzt zu sein: Es sei schwierig abzuschätzen, wie viel sie davon mitbekommen, und kaum möglich, angemessene Erklärungen zu liefern. Ablenken, scherzen, ein Lied singen, die „mediale Hoheit“ wiedergewinnen, rät sie. Sobald ein Kind sprechen kann und Fragen stellt, „ist es Zeit, auf die Ebene der Erklärung zu wechseln“. Natürlich altersgerecht, was so viel heißt wie: Vor einem Kind im Volksschulalter „brauche ich als Elternteil nicht über die Interessenskonflikte in der Welt referieren“. Zu wenig zu erklären, birgt aber auch Gefahr. Bis etwa fünf sind Kinder in der „magischen Phase“, sagt Valerie Reich-Rohrwig – und füllen Lücken im Kopf mit umso schrecklicheren Bildern.

Generell rät Leibovici-Mühlberger zu Gegenfragen. „Was glaubst du denn, wieso diese Männer Waffen tragen?“ So stelle man sicher, „dass man das Kind richtig abholt“. Dessen Assoziationen können für Erwachsene nämlich völlig überraschende sein. So kann ein Kind, das gerade eine Trennung in der Familie miterlebt, ein Bild von kämpfenden Menschen als Streit zwischen Familienmitgliedern deuten und Angst bekommen, dass Mitglieder der eigenen Familie sich gegenseitig verletzen.

Wie erklärt man nun aber Krieg? Für kleine Kinder einfach, etwa: „Diese Menschen glauben leider, dass sie einen Streit nicht mehr anders austragen können, und tun sich dabei gegenseitig furchtbar weh.“ Doch auch Leibovici-Mühlberger warnt davor, Kinder vor der harten Realität bewahren zu wollen; ein Bild von kämpfenden Soldaten mit „Die spielen ja nur“ abzutun. Das kindliche Gehirn erfasse sehr wohl, dass es auf dem Bild um etwas Schlimmes geht. Erklären die Eltern, dass es harmlos sei, ist das für das Kind eine „hochgradig verwirrende“ Botschaft.

Auch falsche Versprechen sollte man sich sparen, sagt Valerie Reich-Rohrwig. Lieber gar nicht erst versichern, dass man am Abend ganz sicher wiederkommt, als das Versprechen zu brechen, weil man einen Unfall gehabt hat. Krieg in Österreich? Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Völlig legitim ist es, sich als Erwachsener bei der Beantwortung von Fragen Hilfe zu holen. Und gleichzeitig auch vorbildhaft: So geht man damit um, wenn man nicht weiterweiß. Kindgerechte Literatur kann bei der Aufarbeitung vieler Themen hilfreich sein, Wissens- und Nachrichtensendungen für Kinder ebenso (siehe Artikel unten).

Auch im Internet gibt es speziell für Kinder gestaltete Nachrichtenseiten, eine der ersten war News4kids.de, die das aktuelle Geschehen für Schulkinder aufarbeitet. „Im Prinzip kommen dafür alle Themen infrage, die auch Erwachsene interessieren“, sagt Gründer und Betreiber Carsten Werner. Was man Kindern aber nicht zumute, so Werner, seien Details, etwa auf welche Weise Menschen bei Katastrophen umgekommen sind oder wie viele Tote es gab. „Das halten wir in der Regel vage, also etwa: Ein schlimmer Anschlag ist passiert.“


Auschwitz und Paris. Ausgespart werden schwierige Themen aber nicht. Über die Gedenkfeierlichkeiten in Auschwitz wurde ebenso berichtet („Zu jener Zeit war in Deutschland Adolf Hitler an der Macht, er war ein grausamer Herrscher“) wie über den Anschlag in Paris. Auch in der „Kinderzeitung“ war der Terror in Paris Thema, allerdings, sagt Leibovici-Mühlberger, ging es dabei eher darum zu vermitteln, „dass der Islam keine böse Religion ist und er nicht mit dem Terror gleichgesetzt werden darf“. Denn nach dem Anschlag seien viele Kinder verunsichert gewesen, hätten sich vor muslimischen Mitschülern gefürchtet.

Auf Good News, und zwar ausschließlich, setzt man beim Kinderradio Radino (in Wien auf 103,2 oder im Web empfangbar), „weil wir nicht sicherstellen können, dass ein Erwachsener mithört und den Kindern die Nachrichten noch erläutern kann“, sagt Geschäftsführer Thomas Rybnicek. In einem Beitrag von zwei bis drei Minuten könne man schwierige Themen nicht kindgerecht aufarbeiten, schon gar nicht für eine so inhomogene Gruppe wie die Zielgrupe (Zwei- bis Zehnjährige). „Wir wollen den Kindern das Nachrichtenhören beibringen, aber ihnen keine Angst mitgeben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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