Psychologie: Wie Eltern sich Narzissten heranziehen können

(C) Wikipedia/ John William Waterhouse
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Ist die grenzenlose Selbstliebe eine Kompensation von mangelnder Wärme? Oder im Gegenteil das Internalisieren von Verherrlichung? Eine Studie an kleinen Niederländern deutet auf Letzteres.

Einst grämte sich einer zu Tode, der sich vom eigenen Spiegelbild im Wasser nicht losreißen konnte, er schrumpfte zusammen und wurde „ein Blümlein, safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern“. So beschrieb Ovid das Ende des Narziss und die Geburt der nach ihm benannten Blume. Es war das Ergebnis eines der Ränke auf dem Olymp: Die Nymphe Echo lenkte Hera ab, als die wieder einmal dem fremdgehenden Zeus auf der Spur war, Hera bestrafte sie damit, dass sie sich selbst nicht mehr ausdrücken konnte, sondern nur Worte anderer wiederholen. Narziss spricht sie an, sie echot zurück, er stößt sie von sich und erleidet den umgekehrten Fluch: Er kommt nicht zu anderen hin, kann nur noch sich selbst sehen.

So weit der Mythos mit seiner tiefen Parabel vom Ich, das nur in Kommunikation mit anderen Ich werden kann. Aber wo kommt sie nun wirklich her, die grenzenlose Selbstliebe, die vor allem in der westlichen Kultur grassiert, und zwar in den letzten Jahrzehnten mit steigender Tendenz? Zwei Schulen streiten, die vom sozialen Lernen und eine psychoanalytische: Letztere hält Narzissmus für eine Kompensation der mangelnden emotionalen Zuwendung, die ein Kind von seinen Eltern erfährt. Erstere setzt auf das gerade Gegenteil: Die Selbstüberschätzung werde Kindern von Eltern eingetrichtert. Das fiel auch Freud auf – die Kompensationshypothese wurde vor allem von seinen Erben breit aufgefächert –, er formulierte es so: Viele Eltern betrachteten Kinder als „Geschenk Gottes“, sie stünden „unter einem Zwang, dem Kind jede Perfektion zuzuschreiben“, wozu „eine nüchterne Betrachtung keinen Anlass“ finde.

„Mein Kind ist etwas ganz Besonderes“

Dieser Hypothese zufolge, der vom sozialen Lernen, internalisieren Kinder die Projektionen ihrer Eltern. Geklärt ist der Streit nicht, dabei müsste man nur Kinder und Eltern fragen! Eddie Brummelman (Amsterdam) und Brad Bushman (Ohio State University) haben es nun nachgeholt, an 557 niederländischen Kindern im Alter von sieben bis elf Jahren, da bildet sich der Narzissmus, da vergleichen Kinder, vorher stehen sie ganz selbstverständlich im Mittelpunkt der Welt. Die Kinder wurden zwei Jahre lang begleitet und alle sechs Monate befragt, ihre Eltern auch.

Die Fragen an die Kinder gingen in drei Richtungen, einmal direkt auf Narzissmus – zu beurteilen war etwa das Statement: „Ein Kind wie ich verdient etwas ganz Besonderes“ –, einmal auf Selbstbewusstsein („Kinder wie ich sind glücklich mit sich selbst“), dann kam noch die Wärme („meine Eltern zeigen mir, dass sie mich lieben“). Die wurde bei den Eltern auch abgefragt, außerdem die Überschätzung: „Mein Kind ist etwas Besonderes, besser als andere Kinder“, „mein Kind ist beispielhaft“. Konkretisiert wurde das noch durch die harmlose Frage, welche Bücher ihre Kinder gelesen hätten, angeboten wurde etwa „Der Zauberer von Oz“, aber auch „Die Geschichte von Benson Bunny“. Ein solches Buch gibt es nicht. Trotzdem nickten Eltern, die ihren Kindern Übermenschliches zutrauen.

Dadurch, dass die Befragungen im Halbjahresabstand abgehalten wurden, konnten Ursache und Wirkung getrennt werden: Erst lobten die Eltern ihre Kinder über den Klee, dann übernahmen die das als Selbstbild (Pnas 9. 3.). Ihrer selbst sicher wurden sie dadurch nicht, im Gegenteil: Selbstbewusstsein kommt von elterlicher Wärme, und wenn es da ist, ruht es in sich selbst. Narzissmus braucht Bestätigung von außen, darin liegt noch eine Weisheit des Mythos: Narzissten neigen eher zu Depression, Angst, auch Aggression, und sie greifen eher zu Drogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

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