Die Raubgründe vom Semmering

„Kein Fingerspitzengefühl!“ Richard Weihs fühlt sich von der Gemeinde Breitenstein beim Kauf dieses einst jüdischen Grundstücks übergangen.
„Kein Fingerspitzengefühl!“ Richard Weihs fühlt sich von der Gemeinde Breitenstein beim Kauf dieses einst jüdischen Grundstücks übergangen.Die Presse
  • Drucken

Bis zur Machtübernahme der Nazis besaßen jüdische Familien im Sommeridyll der Wiener Oberschicht viele Immobilien. So mancher Nachlass mit Geschichte macht bis heute Ärger.

Am Anfang war am Semmering der Kaiser. Nachdem der Wiener Hof die Region zur Freizeitgestaltung für sich entdeckt hatte, folgten ihm Wirtschaftslenker, Wissenschaftler, Künstler und: das jüdische Großbürgertum. Später, in den 1930er-Jahren, war es schlagartig mit dem Idyll vorbei. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ein gutes Drittel aller Sommervillen in der Region „arisiert“, also ihren jüdischen Eigentümern geraubt. Im legendären Hotel Panhans bezog Reichsmarschall Hermann Göring Quartier.

Doch mit der Welle der Rückstellungen, die nach dem Krieg einsetzte, war das Kapitel nicht abgeschlossen. Bis heute entzünden sich an manchen dieser Immobilien heftige Debatten darüber, wie mit dem vorbelasteten Erbe – auch 70 Jahre nach der Niederlage der Nazis – umzugehen sei.

Eine dieser Debatten tobt dieser Tage in der verschlafenen Gemeinde Breitenstein. Es ist ein Konflikt zwischen dem selbst aus einer jüdischen Familie stammenden Künstler Richard Weihs und der Lokalpolitik, die sich, das glaubt jedenfalls Weihs, auf nicht gerade sensible Art und Weise ein Grundstück eines einst enteigneten, dann geflüchteten und schließlich in den USA verstorbenen Juden unter den Nagel gerissen haben soll.

Soll – denn die Darstellungen der Streitparteien gehen in entscheidenden Details doch weit auseinander. So weit, dass man den Fall der höchsten exekutiven Instanz in Niederösterreich vorgetragen hat: dem Landeshauptmann.

Streit mit Gemeinde. Stein des Anstoßes ist ein etwa 1800 Quadratmeter großes Grundstück. Viele Jahre interessierte sich niemand für die unter der Einlagezahl277 verbücherte Liegenschaft. Ihre jüdischen Besitzer wurden einst von den Nazis enteignet und großteils im KZ ermordet, einem von ihnen, Carl Wachtl, glückte jedoch die Flucht in die USA. Nach dem Krieg ging das Grundstück mit der „Wachtl-Villa“ darauf an ihn zurück. Das Haus wurde anschließend eine Zeit lang als Mütterberatungsstelle genützt und schließlich wegen Baufälligkeit – im Einvernehmen mit dem Eigentümer und auf Anregung der Gemeinde – abgerissen. 1989 verstarb Carl Wachtl schließlich im US-Bundesstaat Illinois.

Erst in den 2000er-Jahren interessierte sich wieder jemand für das inzwischen verlotterte Grundstück. Ein Landwirt aus der Region und eben Nachbar Richard Weihs, dessen Familie unmittelbar daneben selbst von den Nazis enteignet worden war, ihr Eigentum nach dem Krieg sogar für teures Geld zurückkaufen musste. Beim Gemeindeamt erkundigte sich Weihs, an wen er sich mit seiner Erwerbsabsicht wenden könne. „Der Eigentümer sei verschollen, so lautete die Antwort“, erinnert er sich heute.

2014 erfuhr er schließlich, dass die Gemeinde das Grundstück selbst gekauft hatte. Für 3000 Euro.

Seither ist in der 300-Seelen-Gemeinde nichts mehr, wie es vorher war. Weihs fühlt sich übergangen, übervorteilt und bewusst um eine Chance betrogen. Zudem kritisiert er den würdelosen Umgang der Gemeinde mit der Geschichte des Grundstücks, seiner eigenen sowie der Erben. Bürgermeister Engelbert Rinnhofer und seine Amtsleiterin hingegen bezeichnen Weihs' Kritik wörtlich als Verleumdung. Jetzt, da alles entschieden sei, wolle dieser sich das Grundstück mit Hilfe der Öffentlichkeit nur selbst aneignen. „Tatsächlich haben wir beim Grundstückskauf versucht, alle Vorschriften nach bestem Wissen und Gewissen einzuhalten.“

Allerdings sehen einige Umstände der Transaktion nach außen hin zumindest fragwürdig aus. Die Namen der Erben der Wachtls, die die Gemeinde nach eigenen Angaben durch mühevolle Recherchen in Österreich gefunden haben will, hält diese nämlich bis heute geheim. Im Kaufvertrag scheint als Verkäufer nur ein Verlassenschaftskurator, ein Notar aus Neunkirchen, auf. Dieser wiederum reagiert auf Fragen zur Transaktion äußerst zugeknöpft. „Dazu will ich mich gar nicht äußern.“


Stille Umwidmung. Weihs mutmaßt nun, dass das ganze Geschäft zum Nachteil der Erben über die Bühne gegangen ist. Das Schnäppchen von 3000Euro war nämlich nur deshalb möglich, weil die Gemeinde in den 1990er-Jahren das Bauland auf seinem und dem Grundstück Wachtls in Grünland umgewidmet hatte. Auf die Information der Eigentümer hatte der damalige Bürgermeister schlichtweg vergessen, dafür sein eigenes Grünland im selben Atemzug in Bauland umgewandelt und – zumindest teilweise – gewinnbringend verkauft. Weihs bekam von den Vorgängen erst selbst Wind, als ihm die Baugenehmigung für einen Umbau am eigenen Haus wegen der Umwidmung versagt wurde. Nach einem langwierigen Rechtsweg hob das Land die Bescheide der Gemeinde als rechtswidrig auf.

Auf eine ähnliche Entscheidung hofft Weihs nun auch in der Sache des Grundstückskaufs. Gegenüber der Landesregierung hat sich die Gemeinde bereits dazu geäußert. Man sei sich, so der Tenor, keines Fehlverhaltens bewusst.

Nicht einmal vom Kaufpreis ist den Erben etwas geblieben. Angeblich sei für die Immobilie seit dem Tod Wachtls keine Grundsteuer mehr bezahlt worden. Die Gemeinde zahlte den Kaufpreis also quasi an sich selbst. Auch für das Grundstück hat Bürgermeister Rinnhofer schon Pläne. „Wir machen dort nun einen Lagerplatz für Strauch- und Baumschnitt.“ Ein Platz für Biomüll sozusagen. Der jetzige, sagt er, liegt in einer von Hochwasser gefährdeten Zone.

In Kürze

Richard Weihs' Familie wurde am Semmering – wie viele andere – von den Nationalsozialisten enteignet. Nach dem Krieg kaufte sein Vater das Grundstück zurück. Dann wollte Weihs auch das Nachbargrundstück einer ebenfalls jüdischen Familie kaufen. Der Eigentümer – so die Gemeinde – sei jedoch verschollen.

Im Vorjahr stellte sich heraus, dass die Gemeinde mit dem Verlassenschaftskurator des längst verstorbenen Eigentümers ein Grundstücksgeschäft durchgezogen hatte. Weihs fühlt sich übergangen und betrogen, die Gemeinde zu Unrecht kritisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.