Wiens Feldzug gegen die Kernkraft

Tschechien, Temelin, AKW
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Österreich will den Ausbau der Nuklearenergie in Europa mit Klagen eindämmen: Nach Großbritannien geht es nun gegen Tschechien. Doch ohne Atommeiler fehlte der EU ein Viertel der Elektrizität.

Wien. Wann immer in Europa das Wort Atomenergie fällt, ist Österreich nicht weit. Seit sich die Österreicher 1978 gegen die Inbetriebnahme ihres eigenen Kernreaktors in Zwentendorf entschieden haben, wissen heimische Politiker, dass mit markigen Sprüchen gegen Atomkraftwerke in der Umgebung hierzulande Stimmen zu gewinnen sind. So auch ÖVP-Umweltminister Andrä Rupprechter. Kaum verkündet Tschechien, vier neue Atomreaktoren bauen zu wollen, ist der Tiroler zur Stelle: „Wir werden alles tun, um den Ausbau zu verhindern“, bestätigte er der „Presse“ einen ORF-Bericht. Immerhin steht Temelín, eines der Ausbauziele und erklärtes Hassobjekt in Österreich, nur 60 Kilometer von den Wählern entfernt.

Mit mahnenden Worten und Protestliedern am Lagerfeuer gibt sich Österreich aber nicht mehr zufrieden. Wenn Wien 2015 den Ausbau der Atomkraft stoppen will, dann schickt es seine Anwälte. So wie im Fall des britischen AKWs Hinkley Point C. Großbritannien forciert den Bau des ersten europäischen Atomkraftwerks seit der Katastrophe im japanischen Fukushima – und lässt sich das auch einiges kosten. Gut 20 Milliarden Euro steuert London bei, um das Projekt umzusetzen. Wenn es denn darf. Die EU-Kommission hat Londons Plan zwar abgenickt. Doch Österreich will Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen. Es handle sich um eine illegale Beihilfe, die den Strommarkt verzerre, so die Argumentation.

Europas AKW sind nicht die jüngsten

Ähnliches sei auch in Tschechien möglich, so der Minister. „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Atomkraft mit hohen Subventionen gestützt wird und künstlich verbilligte Atomenergie die Energiewende verzögert.“

Bisher hat Prag stets betont, kein öffentliches Geld für den Ausbau in die Hand nehmen zu wollen, wirklich realistisch ist das aber nicht. Denn ganz ohne staatlichen Zuschuss würde wohl kaum ein Atomkraftwerk der Welt existieren. Die Kraftwerke sind de facto unversicherbar, weil die Kosten eines Unglücksfalls so enorm sind, dass sie letztlich immer der Staat wird tragen müssen. Auch die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen übersteigen oft die Finanzkraft der Firmen.

Österreich ist mit seiner strikten Ablehnung der Kernenergie in Europa dennoch relativ isoliert. Schließlich kamen 2013 immerhin 27 Prozent der gesamten Elektrizität in der EU aus Atomkraftwerken, so das Ergebnis des „World Nuclear Industry Status Report 2014“ im Auftrag der Böll-Stiftung. Fast die Hälfte davon steuerte Frankreich bei, das hinter den USA immer noch der zweitgrößte Atomstromerzeuger der Welt ist. Aber auch Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Spanien, Schweden, Großbritannien, Bulgarien, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Slowenien und die Schweiz erzeugen (noch) Atomkraft.

Deutschland und die Schweiz haben nach Fukushima zwar den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen, mindestens ebenso viele planen jedoch in Europa aktuell den Einstieg. Die Autoren des „World Nuclear Industry Status Report 2014“ finden zumindest ein Argument für neue AKW: Europas Meiler sind mit durchschnittlich 30 Jahren nicht mehr die jüngsten.

Für Österreich ist das kein Argument. Es ist in der glücklichen Lage, zwei Drittel seines Strombedarfs durch Wasserkraft decken zu können. Das Land kann es sich also leisten, zum Feldzug gegen die Atomkraft aufzurufen, selbst wenn er mitunter skurrile Züge annimmt. Etwa dann, wenn sich Österreich per Erlass „atomenergiefrei“ macht – elektronische Geräte das hierzulande aber einfach ignorieren und trotzdem Atomstrom aus den umliegenden Meilern fressen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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