Vierjährige: Pflichtkindergarten mit Ausnahmen

Kindergarten
Kindergarten(c) REUTERS (BOBBY YIP)
  • Drucken

Schon ab Herbst soll der Kindergarten für Kinder ab vier Jahren gratis sein. 2016 folgt der Pflichtbesuch, außer die Kinder können bereits gut genug Deutsch.

Wien. Der Kindergarten soll künftig nicht nur für Fünf-, sondern schon für Vierjährige verpflichtend sein. Mit dieser Ankündigung ließ die von der ÖVP in die Regierung entsandte Familienministerin Sophie Karmasin am Wochenende aufhorchen. Immerhin war es bislang die ÖVP selbst, die sich gegen eine generelle Verpflichtung aller Vierjährigen wehrte. Mithilfe eines kleinen Tricks macht Karmasin nun aber Tempo.

Der Pflichtbesuch in den Kindergärten für Mädchen und Buben ab vier statt derzeit ab fünf Jahren (siehe Faktenkasten) soll in einem Stufenplan in zwei Etappen umgesetzt werden. Bereits ab dem kommenden Schuljahr 2015/16, also ab September dieses Jahres, ist, wie im Familienressort erläutert wird, die Einführung des Gratiskindergartens am Vormittag in allen Bundesländern geplant. Erst ein Jahr später, also ab 2016/17, ist dann der verpflichtende Besuch des Kindergartens grundsätzlich für alle Kinder ab vier Jahren vorgesehen.

Die Betonung liegt auf grundsätzlich. Denn in der Praxis weicht Familienministerin Karmasin nicht – wie man das vermuten könnte – von der bisher von der Volkspartei vertretenen Linie ab. Die ÖVP-Führung hat sich einst nämlich gegen einen Pflichtkindergarten für alle Kinder ab vier Jahren ausgesprochen. Sie wollte die Verpflichtung nur für Mädchen und Buben sehen, die Sprachdefizite aufweisen.

Prüfung mittels Fragebögen

Das möchte Karmasin, wie sie der „Presse“ erläuterte, nunmehr mit einer sogenannten Opt-out-Regelung sicherstellen. Eltern brauchen demnach bei bestimmten Ausnahmen ihr Kind noch nicht mit vier Jahren in den Kindergarten zu geben. Wie schon bei den Fünfjährigen gelten medizinische Gründe und weite Wege als Ausnahme. Neu dazu kommt für die Vierjährigen, dass sie auch von Tageseltern betreut werden können. Ein weiterer Grund, das Kind nicht verpflichtend ab vier Jahren in den Kindergarten schicken zu müssen, ist, dass das Kind bereits die Sprache, also Deutsch, gut genug für sein Alter beherrscht. Im Endeffekt würde damit wieder das ÖVP-Ziel erreicht, dass jedenfalls Kinder im Alter von vier Jahren mit sprachlichen Problemen den Kindergarten besuchen müssen.

Die sprachliche Eignung soll im Kindergarten von den Pädagogen festgestellt werden. Sie sollen die Kinder beobachten und einen entsprechenden Fragebogen ausfüllen. Wie das im Detail funktionieren soll, ist aber, so Karmasin, noch nicht fixiert. Es dürfte durchaus schwierig sein, Drei- bzw. Vierjährige für einen Tag in den Kindergarten zu holen, um ihre Sprachfertigkeit zu überprüfen. Die Familienministerin schickte jedenfalls schon am Wochenende voraus: Man wolle jene erreichen, die Sprachentwicklungsbedarf haben. Dabei gehe es „nicht um die Frage: Ausländer ja oder nein“.

In der Praxis gibt es in fünf Bundesländern den Gratiskindergarten am Vormittag für Kinder ab vier Jahren bereits. Noch nicht der Fall ist das in Salzburg, der Steiermark, Vorarlberg und Kärnten. Wien hinkt bei der Zahl der Kinder, die ab vier Jahren den Kindergarten besuchen, hinterher – mitunter wegen des hohen Anteils an Kindern mit migrantischem Hintergrund. Denn während österreichweit schon jetzt – also auch ohne Verpflichtung – 94Prozent der Vierjährigen betreut werden, liegt der Anteil in Wien deutlich unter 90 Prozent.

Bei Verstößen gegen die Pflicht drohen verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen. Bei den 80.000 Fünfjährigen, die schon jetzt der Verpflichtung unterliegen, wurden 2013/14, wie „Die Presse“ erst kürzlich berichtete, nicht nur 354 Kinder von der Pflicht befreit, sondern zusätzlich 658 Verwaltungsstrafverfahren gegen Eltern eingeleitet, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten geschickt hatten – der Großteil mit 612 Fällen in Wien.

Eine Frage der Finanzierung

Am Montag gab es bereits die ersten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern betreffend des Gratiskindergartenjahres. Diese sind laut Ministerium grundsätzlich positiv verlaufen. Die Pläne haben allerdings einen finanziellen Haken. Denn: Die Länder wollen dafür mehr Geld vom Bund. Bisher wurden von Bundesseite pro Jahr 70Millionen Euro für den verpflichtenden Gratiskindergarten ab fünf Jahren bereitgestellt. Im Familienministerium wird im Gegenzug darauf hingewiesen, dass schon im Vorjahr beschlossen wurde, dass für den Ausbau der Kinderbetreuung bis 2018 in Summe 305 Millionen Euro bereitgestellt werden. Im Ressort wird außerdem hervorgehoben, dass man durch diese Investitionen in die bessere sprachliche Ausbildung im Kindergarten Geld spare, um dann in der Schule und nach der Schule bei Jugendlichen Problemen mit Deutsch und bei einer beruflichen Ausbildung besser vorzubeugen.

AUF EINEN BLICK

Die Kindergartenpflicht gilt für alle Fünfjährigen. Sie müssen an mindestens vier Tagen in der Woche im Ausmaß von insgesamt 16 bis 20 Stunden in den Kindergarten gehen. Der Kindergarten ist für Fünfjährige gratis. Für Vierjährige gibt es (noch) keine Besuchspflicht. Dennoch wurden 94 Prozent der Vierjährigen betreut. In der Steiermark, in Kärnten, Salzburg und Vorarlberg mussten die Eltern dafür zahlen. Das wird sich mit der Besuchspflicht ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.