"Das Alter ist kein bedeutender Faktor der Erziehung"

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Entwicklungspsychologe Harald Werneck über Elternsein im fortgeschrittenen Alter und wieso Väter und Mütter anders erziehen – und das gut so ist.

Erziehen ältere Eltern ihre Kinder anders als jüngere Eltern?

Harald Werneck: Wir haben zu dieser Frage etliche Daten gesammelt und ausgewertet. Das Ergebnis: Wir haben keine relevanten Unterschiede gefunden. Alter ist also kein bedeutender Faktor der Erziehung. Man sollte deshalb nicht den Fokus darauf legen. Das Einzige, auf das wir gestoßen sind, ist, dass ältere Eltern die Kinder weniger als Belastung wahrnehmen. Das hängt wohl damit zusammen, dass Kinderkriegen bei Eltern im fortgeschritteneren Alter oft eine sehr bewusste Entscheidung ist. Ältere Eltern können oft die positiven Aspekte eines Lebens mit Kind mehr genießen – gerade bei Vätern, die wir befragt haben, war diese Einstellung stark ausgeprägt: Wenn sie ein bisschen älter sind, sehen sie Kinder in vielen Fällen als absolute Bereicherung ihrer Lebensqualität an. Sie haben vielleicht schon sehr viel erreicht im Leben, müssen sich also nicht mehr auf ihre Karriere konzentrieren. Ein Kind zu haben, diese Beziehung wirklich bewusst zu erleben, sei etwas Neues, Überwältigendes, sagen uns viele dieser älteren Väter.

Ist das auch bei Vätern im fortgeschrittenen Alter so, die bereits früher Kinder bekommen haben?

Ja, in vielen Fällen ist es ja so, dass es ein Kind aus der zweiten oder sogar dritten Beziehung ist. Oft sagen uns diese älteren Väter, sie erleben ihre Vaterschaft zum ersten Mal bewusst: Sie nehmen sich dann auch zum ersten Mal in ihrem Leben eine Auszeit nur für das Kind, planen bewusst Zeit mit dem Baby ein. Das wirkt sich freilich auf die Beziehung mit dem Kind aus.

Macht sich der Altersunterschied nicht irgendwann bemerkbar – ist es nicht schwierig, einen Jugendlichen zu verstehen, der mehr als ein halbes Jahrhundert älter ist?

Das hängt von den Einstellungen des Einzelnen ab. Von seiner Persönlichkeit, seinen eigenen Erziehungserfahrungen. Sicher nicht vom Alter.

Älteren Eltern wird oft vorgeworfen, ihre Kinder zu verwöhnen.

Wir haben das ganz bewusst geprüft. Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass das Alter einen Unterschied macht: Natürlich kommt es vor, dass ältere Eltern ihre Kinder verwöhnen. Aber es gibt genauso viele junge Eltern, die ihre Kinder überbehüten.

Wie unterschiedlich erziehen Väter und Mütter?

Durchschnittlich gehen Väter körperorientierter mit Kleinkindern um, ihr Spielverhalten ist viel weniger sprachorientiert. Dazu gibt es ganz interessante Studien. Aber auch das ist freilich nicht immer so. Im optimalen Fall sind sich ergänzende Verhalten gut für die Kinder. Eltern müssen nicht immer identisch reagieren, Kinder können gut damit umgehen, dass Bezugspersonen andere Reaktionsverhalten haben. Es ist sogar wichtig, dass es so ist. Die Umwelt ist komplex, Kinder sollten das früh erkennen. Zentral ist nur, dass Eltern eine gemeinsame Grundlinie haben, wenn es um Grenzen und Regeln geht. Insgesamt ist für die Kinder eine große Chance, wenn beide Eltern in der Erziehung präsent sind – also zwei Menschen zu haben, die einen lieben und kompetent mit einem umgehen können.

Harald Werneck ist Entwicklungspsychologe an der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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