Nur alte Eierfeilen lesen (oder schreiben) Jugendwörterbücher

Symbolbild: Wörterbuch.
Symbolbild: Wörterbuch.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Subtext. "Alpha-Kevin" ist nun doch kein Kandidat für das Jugendwort des Jahres: Es sei diskriminierend. Aber verwendet überhaupt jemand den Begriff?

Zunächst einmal: Es ist eine PR-Aktion. Mit der Wahl zum Jugendwort des Jahres bewirbt der Langenscheidt-Verlag traditionell sein Wörterbuch der Jugendsprache. In der Redaktion der „Presse“ liegt noch ein Exemplar von 2011 herum: Ein großes, pinkfarbenes „Hä??“ prangt auf dem Cover, im Inneren findet man Worte wie „Glatzentischler“ (Friseur), „Glockendisco (Kirche) oder „Gammelfleischparty“ (Party für Leute über 30). Wörter, die damals nicht wirklich in Verwendung waren und heute immer noch nicht, aber über die man zumindest kurz schmunzeln kann – oder sich empören, je nach Temperament.

Auch heuer wird wieder ein Wörterbuch erscheinen, die Kandidaten für das Jugendwort des Jahres wurden Ende letzter Woche veröffentlicht, darunter fand sich zunächst auch der „Alpha-Kevin“. Er ist „der Dümmste von allen“, und weil einige darin eine Verunglimpfung der Kevins dieses Sprachraums sahen, wurde der Begriff vom Verlag zurückgezogen.

Jetzt ist es schwer zu sagen, welche Begriffe Adoleszente tatsächlich verwenden und welche nicht, auch das eigene Kind ist da nur eine unzulängliche Informationsquelle, immerhin gibt es nicht eine Jugendsprache, sondern mehrere, je nach Alter, Landstrich, Musikgeschmack und bevorzugtem YouTuber – aber man kann zum Beispiel auf Twitter nach den Kandidaten suchen: Dann wird man mit Überraschung feststellen, dass es wirklich Leute gibt, die „Eierfeile“ sagen – allerdings nicht als Synonym für Fahrrad, wie die Macher des Wörterbuchs meinen: Es bezeichnet meist einen extrem nervigen Menschen oder eine lästige Sache. Auch „rumoxidieren“ taucht mehrmals auf, detto „merkeln“, was im Sinne von „keine Entscheidung treffen“ verwendet wird – wobei hier die Erfinder nicht auf dem Pausenhof zu finden sein dürften, sondern in den Redaktionsstuben. Das Wort „Genussoptimierer“ (angeblich ein anderes Wort für Koch) wird auf Twitter vor der Nominierung zum Jugendwort des Jahres nur ein einziges Mal erwähnt, der Tweet stammt von einem Erotikshop.

Und was ist nun mit „Alpha-Kevin“? Der war bis dato auf Twitter unbekannt, auch Google führt uns im Suchzeitraum bis Juni 2015 nur zu einigen wenigen amerikanischen Seiten – und im englischsprachigen Raum ist Kevin kein Schimpfwort. Immerhin, der Begriff hat mittlerweile einige Fans, durch den Rückzieher des Verlags erst recht. Mag sein, er setzt sich durch – allerdings eher unter Erwachsenen. Denn die sind es schließlich, die Jugendwörterbücher lesen.

Mails an:bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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