Kindergruppen: Wie der „Wildwuchs“ entstand

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THEMENBILD-PAKET: KINDERBETREUUNG / KINDERGARTEN / KINDERKRIPPEAPA/HERBERT NEUBAUER
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Die Stadt Wien brauchte plötzlich deutlich mehr Betreuungsplätze. Man setzte auf Private und finanzierte sie üppig. Regeln gab es nur vage. Nun kämpft man mit Skandalen und mangelhaft ausgebildetem Personal.

Wien. Die Negativschlagzeilen reißen nicht ab: Zuerst sorgte ein Bericht für Aufsehen, der muslimischen Kinderbetreuungseinrichtungen vorwarf, Parallelgesellschaften aufzubauen. Dann geriet ein Wiener Kindergartennetzwerk, das Förderungen in Millionenhöhe erschlichen haben soll, ins Visier der Polizei. Und zu guter Letzt gab es Aufregung um einen Stadtrechnungshof-Bericht, der fehlende Kontrolle beklagte. Allesamt Einzelfälle? Oder Symptome eines kranken Systems?

1 Die Stadt war auf private Anbieter angewiesen. Der „Wildwuchs“ der Kindergruppen begann.

Die Zeit drängte. Das verpflichtende Kindergartenjahr war politisch paktiert und sollte im Herbst 2009 starten. Doch es fehlten die entsprechenden Plätze. Die Stadt war auf private Anbieter angewiesen. Es begann unter anderem der Ausbau der Kindergruppen – für die andere, lockerere Regeln als für Kindergärten galten (siehe Punkt 2). So gab es vor sechs Jahren in Wien 268 Kindergruppen. Heute sind es 620. 7400 Kinder, rund neun Prozent, besuchen also eine solche. Die Kindergruppen sind einst in den 1970er-Jahren entstanden. Als „hippiemäßige“ Bewegung, in denen Eltern, die ihre Kinder nicht dem staatlichen System überlassen wollten, kochten und putzten, werden sie beschrieben. Diese elternverwalteten Gruppen dürften mittlerweile in der Minderheit sein, die meisten sind selbstverwaltet. Rund 450 der Kindergruppen sollen islamisch sein, so steht es zumindest im umstrittenen Projektbericht des Religionspädagogen Ednan Aslan (Uni Wien). Die Stadt erhebt dazu keine Zahlen. Es werden Vereine gelistet, aber weder der religiöse Hintergrund noch die Staatsbürgerschaft wird erhoben. Im elementarpädagogischen Bereich werden die Entwicklungen der vergangenen Jahre jedenfalls kritisch gesehen: „Die Branche leidet schon lang unter einem Wildwuchs an Kindergruppen“, sagt Heidemarie Lex-Nalis von der Plattform Educare zur „Presse“.

2 Eingesetzte Betreuer haben „Miniausbildung“. Statt 90 Einheiten gibt es künftig 400.

Anders als in Kindergärten muss in Kindergruppen kein ausgebildeter Pädagoge anwesend sein. Es genügt, wenn Betreuer eingesetzt werden. Wobei sich ihre Aufgabe eigentlich nicht unterscheidet. Mit einer Ausnahme: In einer Kindergruppe dürfen maximal 14 Kinder und damit deutlich weniger als in Kindergartengruppen betreut werden. Die Ausbildung ist dennoch eine völlig andere. Es ist weder ein Eignungstest noch eine Abschlussprüfung vorgeschrieben. Betreuer müssen lediglich einen Kurs im Ausmaß von mindestens 90 Unterrichtseinheiten absolvieren. Nach 15 Einheiten Pädagogik, 15 Einheiten Entwicklungspsychologie und ein paar anderen Fächern (übrigens sind das allesamt nur Richtwerte) kann man als Betreuer arbeiten. Das Ganze ist also in wenigen Wochen zu schaffen. „Das ist eine Miniausbildung“, sagt Eva-Maria Rauchensteiner, die mit der „Bildungspraxis“ selbst ein Institut für Aus- und Weiterbildung leitet und die Ausbildung auf 300 Stunden ausgedehnt hat. Hier will die Stadt nun für Änderungen sorgen. Noch vor dem Sommer soll die Ausbildung auf 400 Stunden erhöht werden. Eine schriftliche Seminararbeit und eine kommissionelle mündliche Prüfung werden Pflicht. Dabei gibt es aber einen Haken: Die Neuregelung wird nicht rückwirkend gelten und gilt nur für Betreuer, die künftig mit der Ausbildung beginnen.

3 „Schwarze Schafe“ unter den privaten Ausbildnern.

Die Ausbildungsinstitute sind private Institute. Welche Ausbildner sie einsetzen, bleibt ihnen überlassen. Sie müssen sich lediglich an die vage gehaltenen Vorgaben der Stadt halten. Und so hört man, wenn man sich in der Branche umhört, Geschichten von „schwarzen Schafen“ und Kindergruppenbetreuern, die weder gelernt haben, einen Essensplan für die Kinder zu erstellen noch ein Kind zu wickeln. In der zuständigen MA 11, Amt für Jugend und Familie, weiß man über „stundenmäßig divergierende“ Ausbildungen Bescheid. Ausschlaggebend sei, dass die Verordnung (u. a. das Ausbildungsmaß von bislang 90 Einheiten, Anm.) eingehalten werde. Die Ausbildungen sind unterschiedlich lang und dementsprechend unterschiedlich teuer. Das dürfte auch beim Ansuchen für Förderung – etwa beim AMS – eine nicht ganz von der Hand zu weisende Rolle spielen. Sind die Fördertöpfe nahezu leer, dürfte billigeren Ausbildungen der Vorzug gegeben werden.

4 Mit üppigen Finanzierungen wurden Personen „mit falscher Motivation“ angelockt.

Apropos Kosten: Die Stadt Wien hat für den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze viel Geld in die Hand genommen. Für die Neuerrichtung einer Kindergruppe gab es im besten Fall eine einmalige Anstoßfinanzierung von 32.000 Euro, eine Basisförderung von 250 Euro pro Kind und Monat sowie einen Grundbeitrag und Verwaltungszulagen. „Das hat viele Menschen mit falscher Motivation angelockt“, sagt Rauchensteiner. Diese konnte die Stadt in der Vergangenheit offenbar nicht ausfindig machen. Wohl auch deshalb, weil es an der finanziellen und der qualitativen Kontrolle mangelte. So muss die Qualität einer Institution nur ein Mal im Jahr kontrolliert werden. Das versuchen derzeit elf und künftig 13 Kontrolleure zu schaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

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