Der Tod des konservativen Richters Scalia verleiht Obama und den Demokraten Auftrieb. Sein Nachfolger wird die Rechtslage in den USA für die absehbare Zukunft entscheidend mitbestimmen.
Washington. Die Wahl des nächsten US-Präsidenten sowie die Frage, wer ab Jänner die Mehrheit im Senat hat, haben am Wochenende durch das überraschende Ableben des konservativen Höchstrichters Antonin Scalia erhöhte Brisanz gewonnen. Der Nachfolger des 79-jährigen Scalia im U. S. Supreme Court wird nämlich in den großen, gesellschaftspolitisch kontroversiellen Verfassungsentscheidungen das Zünglein an der Waage sein, und das möglicherweise für mehrere Jahrzehnte. Die Zukunft der Kontrolle von Schusswaffen, die Festlegung der Grenzen für Abtreibungen, Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und der Umgang mit rund elf Millionen sich illegal im Land aufhaltenden Einwanderern werden angesichts der Unversöhnlichkeit der demokratischen und republikanischen Parteien von den neun Höchstrichtern entschieden werden. Wer Scalias Posten einnimmt, wird die Rechtslage in den USA für die absehbare Zukunft entscheidend mitbestimmen.
Blockade im Senat droht
Präsident Barack Obama machte wenige Stunden nach dem Bekanntwerden von Scalias Tod während eines Jagdurlaubes auf einer westtexanischen Luxusranch klar, dass er von seinem verfassungsmäßigen Recht, einen neuen Richter zu ernennen, Gebrauch machen werde. „Es wird ausreichend Zeit für mich geben, das zu tun, und auch für den Senat, seine verfassungsmäßige Verantwortung wahrzunehmen, dieser Person eine faire Anhörung und eine rechtzeitige Abstimmung zu gewähren“, sagte Obama am Samstagabend in einer kurzen Fernsehansprache. „Ich nehme diese Verantwortungen so ernst, wie es jeder tun sollte. Sie sind größer als jede Partei, sie betreffen unsere Demokratie.“
Laut der Verfassung steht es dem Präsidenten zu, Richter zum Supreme Court zu ernennen, und dem Kongress, diese mit einfacher Mehrheit zu bestätigen. Sämtliche sechs verbliebene republikanische Präsidentschaftskandidaten sowie führende Senatoren der Partei erklärten allerdings unmittelbar nach Bekanntwerden von Scalias Tod, dass sie jegliche Kandidaten Obamas ablehnen würden. Dabei beriefen sie sich auf eine Regel von Strom Thurmond, dem einstigen Vorsitzenden des Justizausschusses im Senat, derzufolge Nominierungen, die in einem Präsidentschaftswahljahr nach Mai einlangen, nicht mehr auf die Tagesordnung kommen.
Scharfe Wahlkampfmunition
Diese Gepflogenheit ist allerdings rechtlich unverbindlich, und es ist zu erwarten, dass Präsident Obama und die Demokraten im Senat rasch mit der Nominierung voranschreiten werden. Zwar sind sie nur 46, und es ist zweifelhaft, ob sie noch heuer jene 60 Stimmen zusammenbringen werden, um einen republikanischen Filibuster zu überstimmen, also eine Dauerrede, mit der ein Senator die Nominierung verhindern könnte.
Doch die Republikaner laufen Gefahr, sich mit dieser Obstruktionspolitik selbst zu schaden. Denn erstens macht Hillary Clinton, die vermutliche demokratische Präsidentschaftskandidatin, die Nachbesetzung demnächst altersbedingt ausscheidender Höchstrichter zu einem prominenten Thema ihres Wahlkampfes. Zweitens müssen mindestens acht republikanische Senatoren in mehrheitlich demokratischen Teilstaaten im November um ihre Wiederwahl bangen. Einer davon ist Rob Portman aus Ohio. Er hat bemerkenswerterweise in seiner Stellungnahme zu Scalias Tod offen gelassen, ob er sich an einer Blockade von Obamas Kandidat beteiligen würde.
Fürs Erste hat der Umstand, dass es nun nur acht Höchstrichter gibt, bei einem Abstimmungspatt von 4:4 zur Folge, dass die angefochtene Entscheidung des unteren Gerichts bestehen bleibt, aber keinen Präzedenzfall schafft. Somit bleiben Obamas Regeln zur Begrenzung von Kohlekraftwerken vorerst bestehen, sein Erlass zur Legalisierung des Aufenthaltes von Millionen undokumentierter Ausländer hingegen kann nicht umgesetzt werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2016)