Besonderer literarischer Aktionsraum

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Slawistik. Die neue Literatur der Kärntner Slowenen ist vielschichtig und wird erstmals in einer Datenbank erfasst. Sie bedient große wie kleine Sprachräume. Herkunft, Identität und Minderheiten sind Themen, aber nicht ausschließlich.

Als nun der Mann vor ihm so überzeugend sprach, machte sich in seinem Kopf undeutlich die Vorstellung breit, dass es ein großes Wir gab, das er nicht genau fassen konnte, seit das Mütterchen am Galgen seinen Namen gejammert hatte, und dass es dann noch ein kleines Ich gab, das er zwar besser fassen konnte, an das er aber kraft seines Ranges und seiner Moral nicht glauben durfte . . .“

Elena Messner schaffte 2014 mit dem Erstlingsroman „Das lange Echo“ ein gelungenes Debüt, dass über den Unsinn des Ersten Weltkrieges nachdenkt und gleichzeitig die 100 Jahre später stattfindende Jubiläums- und Erinnerungsgeschichte mitdenkt. Messner wurde 1983 in Klagenfurt geboren, wuchs in Ljubljana und Salzburg auf und gibt starke Literaturtöne von sich. Sie ist aber nicht die einzige Autorin mit Kärntner-slowenischem Hintergrund.

Das Institut für Slawistik der Uni Graz begibt sich in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Die zweisprachige literarische Praxis der Kärntner Slowenen“ auf Spurensuche nach Autoren und Schriftstellern dieser Minderheit. Die Forscher legen eine Datenbank an, die das Literaturgeschehen und v. a. die Nachwuchsschreiber seit 1991 – also seit dem Zeitpunkt, als die Kärntner-slowenische Literaturzeitschrift „Mladje“ eingestellt wurde – erfassen soll.

Was wirkt auf den Mainstream?

Das zwei Jahre dauernde Projekt nimmt Personen und Bibliografien auf und liefert Kurzbeschreibungen zu repräsentativen Texten. Es geht aber auch um alle Akteure, die einen Bezug zum Kärntner-slowenischen Raum haben: „Dabei handelt es sich um einen abstrakten Interaktionsraum, der nicht an das Bundesland Kärnten gebunden ist“, sagt Andreas Leben, Leiter des Projektes. Es sollen etwa auch Autoren in die Datenbank aufgenommen werden, die in Deutschland über Kärntner Slowenen schreiben. Ein Vorhaben, das mithilfe von Verlagen, Literaturzeitschriften, Fachwerken und Interviews gelingen soll.

Das Hauptziel in der zweiten Phase des Projektes ist es, herauszufinden, inwieweit die Literatur in den zentraleuropäischen Raum hineinwirkt, wie die Peripherie Randthemen aufgreift, die sodann zum Mainstream werden können: So geschehen beim Thema Partisanenkampf der Kärntner Slowenen während des Zweiten Weltkrieges.

Die Forscher gehen von einem polysystemischen Ansatz aus. Dieser besagt, dass kleine Literatursysteme auf große wirken und umgekehrt. Die vorläufige These ist, dass „die Peripherien für gewisse Änderungen und Innovationen empfänglicher sind als die Zentren“, sagt Leben. Der Dunstkreis der großen Literatur in den Zentren wird durch das Gespür der Peripherie für sensible Themen wie Heimat, Herkunft, Identität erweitert.

Tradition und Avantgarde

Kärntner Slowenen sind empfängliche und umtriebige Schreiber: 31 Personen verzeichnet der slowenische Schriftstellerverband in Österreich. Etwa 70 bis 80 Autoren publizieren regelmäßig. „Wir haben seit dem Beginn der Datensuche bereits an die 700 Namen identifiziert, die im literarischen Aktionsraum tätig sind oder waren“, sagt Leben. Gemessen an den 12.500 Kärntner Slowenen, die die letzte Volksgruppenfeststellung aus dem Jahr 2001 ergab, attestiert das der Minderheit eine erstaunliche schriftstellerische Ambition.

Nicht alle davon schreiben Lyrik oder Prosa mit höchstem Anspruch: Die Autoren bedienen gleichsam traditionelle wie avantgardistische Geschmäcker. Manche Jungschreiber relativieren den Minderheitenaspekt, der bis zum Beginn der 1990er-Jahre ein wesentlicher gewesen ist. Zum einen wollen sie damit aus der Regionalität ausbrechen und ein breiteres Publikum im deutsch- oder slowenischsprachigen Raum – je nachdem, in welcher Sprache sie schreiben – ansprechen. Zum anderen haben manche Autoren die Lebenswelt in Kärnten verlassen. Einige stammen zwar aus dieser Region, leben aber in Wien, Graz, Ljubljana oder in anderen Teilen der Welt.

Die großen Themen Sprache, Identität und das Zusammenleben von Mehr- und Minderheiten bleiben bestehen, aber nicht ausschließlich. Nicht jeder Text ist engagierte Literatur. Diese stirbt jedoch nicht aus. Die seit den 1960er- bis 1980er-Jahren aktiven Schreiber rund um Florjan Lipuš, Gustav Januš, Janko Ferk, Maja Haderlap oder den Anfang Mai verstorbenen Fabjan Hafner traten nicht nur für die slowenische Minderheit ein, sondern stellten auch ästhetische Ansprüche und übten Kritik an der kulturellen Rückständigkeit der Kärntner Slowenen.

Die neue Generation verschiebt und erweitert die Themenvielfalt, bleibt aber – zumindest teilweise – engagiert, wie bei Elena Messner erkennbar: „Es war eine ganz primitive Todesangst, die ihn stutzig gemacht hatte. Seit damals murmelte es in ihm immer wieder, ein auf das andere Mal, tage- und wochenlang, besonders wenn jemand das Wort Wir in den Mund nahm, leise, aber immerzu, es murmelte wiederholt seinen Namen, Milan, Milan, Hör her, hör doch mal, hör zu, du!“ [ Foto: privat ]

LEXIKON

Als Ortstafelstreit wird der Konflikt in den gemischtsprachigen Kärntner Gebieten bezeichnet. Verkehrsschilder in deutscher und slowenischer Sprache in den Minderheitenregionen erhitzten die Gemüter. Erst 2011, nach einem halben Jahrhundert Streit, einigten sich Mehr- und Minderheit: 164 zweisprachige Ortstafeln wurden in 24 Gemeinden angebracht. Schmier- und Demontageaktionen, wie in den 1970er-Jahren, blieben überwiegend aus – auch ein Verdienst der Kärntner-slowenischen Literatur: Viele Projekte seit den 1980er-Jahren verwiesen auf das interkulturelle Zusammenleben aller Kärntner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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