Mama, Papa und der Sex

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Von den eigenen Kindern im Bett „erwischt“ zu werden: Das ist für viele Eltern eine absolute Horrorvorstellung. Dabei ist es für die Kinder gar nicht so schlimm – vorausgesetzt, Mutter und Vater reagieren richtig.

Normalerweise sperren Sarah und Manfred immer die Schlafzimmertüre zu, bevor sie Liebe machen. In der Nacht nach der rauschenden Gartenparty haben sie aber leider darauf vergessen. Und prompt passiert es: Tochter Lena, 4, geweckt durch einen wirren Traum, steht plötzlich im Schlafzimmer. Mit großen Augen beobachtet das Kind, wie Mutter und Vater mit roten Köpfen seltsam keuchend unter der Bettdecke... ja, was eigentlich? Lena fragt leise: „Mama? Papa?“ Lenas Eltern halten erschrocken inne. Sie erstarren. Und schweigen. „Mama? Papa?“, wiederholt das Mädchen noch einmal. Aber die Eltern rühren sich nicht. Verunsichert verlässt Lena das Schlafzimmer.

Von den eigenen Kindern beim Sex „erwischt“ zu werden: Das ist für viele Eltern eine absolute Horrorvorstellung. In einer internationalen Umfrage des Pharmakonzerns Bayer zum Thema „Wie verändern Kinder das Leben?“ haben 37 Prozent der Befragten angegeben, dass sie Angst davor haben. Für jeden vierten Elternteil ist diese Angst sogar so groß, dass er lieber ganz auf Sex verzichtet.

Dabei ist ein zufälliger Einblick in das Sexleben der Eltern für Kinder weit weniger irritierend oder verstörend, als die meisten Eltern befürchten. „Natürlich sollte man die Kinder nach Möglichkeit davon fernhalten“, sagt der Soziologe und Sexualwissenschaftler Kurt Starke. „Aber wenn sie zufällig dazukommen, ist es für sie in der Regel eine natürliche, wenig befremdliche Sache.“

Wie gut die kleinen „Voyeure wider Willen“ das Gesehene verarbeiten können, liegt vor allem an zwei Faktoren. Erstens: am alltäglichen Umgang der Eltern miteinander. „Wenn die Kinder wissen, dass sich Mama und Papa respektieren und lieb haben und dass da auch körperliche Zärtlichkeiten, Küsse und Umarmungen dazugehören, können sie den Geschlechtsverkehr der Eltern leichter als etwas ganz Normales einordnen“, erklärt Starke. Ein Schock oder gar bleibende Schäden seien dann höchst unwahrscheinlich. Es könne für die Kids allerdings irritierend sein, dass sie ihre Eltern von einer Seite sehen, die ihnen bisher unbekannt war. Hier kommt der zweite für die Aufarbeitung wesentliche Faktor ins Spiel: das Verhalten von Mutter und Vater, wenn sie von einem Kind „in flagranti“ erwischt werden.


Peinlich? Nicht unbedingt. Sarah und Manfred sind in dieser Situation so sehr erschrocken, dass schließlich auch ihre Tochter Lena erschrocken ist. „Diese Reaktion der Eltern hat dem Kind das Gefühl gegeben, dass gerade etwas Furchtbares passiert ist“, sagt Belinda Mikosz, Leiterin des Psychologischen Dienstes der Mag Elf. Die eigene Einstellung zur Sexualität hindere in so einer Situation viele Eltern daran, das Richtige zu tun. Nämlich zu sagen: „Geh bitte einen Moment raus, ich komme gleich zu dir und erkläre dir dann alles.“

In der Folge sollten dann alle Fragen der Kinder altersadäquat beantwortet werden. Damit können Eltern auch mögliche Missverständnisse ausräumen – wie etwa die Interpretation von lustvollem Stöhnen als Ausdruck von Not und Schmerz.

Was die Kids nicht wissen wollen, sollten die Eltern erst gar nicht thematisieren. Motto: locker bleiben, nichts dramatisieren.

Damit das auch gelingt, empfiehlt Mikosz, sich auf die Möglichkeit des Ertapptwerdens vorzubereiten und sich entsprechende Verhaltensweisen und Sätze („Mama und Papa haben einander gerade lieb, es ist alles in Ordnung“) zurechtzulegen. Peinliches Schweigen, Panik, Wut oder schamvolles Schuldbewusstsein seien die falschen Reaktionen – und können den Nachwuchs weit mehr belasten als der eigentliche Vorfall. Dann bestehe die Gefahr, dass Kinder Sexualität auch in späteren Jahren mit unangenehmen Gefühlen assoziieren.

Diese Wirkung können auch ausgefallene Sexpraktiken der Eltern haben. Wenn Mama und Papa etwa in Latexkostümen bizarre SM-Spielchen betreiben, wirkt das auf den Nachwuchs schockierend und verstörend. Hier sollte man mit absoluter Konsequenz verhindern, dass die Kinder sehen, was nicht für ihre Augen bestimmt ist.

Wobei die meisten Kinder, sobald sie wissen, dass zwischen Mama und Papa „etwas läuft“, ohnehin instinktiv einen großen Bogen um alles machen, was mit dem Sexleben der Eltern zu tun haben könnte. „Es gibt zwischen Kindern und Eltern eine natürliche Generationengrenze, sich nicht als sexuelle Objekte wahrzunehmen“, erklärt die Psychologin und Familientherapeutin Sonja Kinigadner. „Die Kinder wollen, dass die Eltern ihre Sexualität für sich behalten.“

Sei spontan! Die Eltern wollen dasselbe – und müssen dafür auch gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen.

In einer Umfrage der GfK Marktforschung beklagten 56,2 Prozent der Mütter und Väter, dass ihnen die Gelegenheit zu spontanem Sex fehle. Hier helfen Kreativität und Flexibilität. „Gelegenheiten zum Sex gibt es auch tagsüber, wenn die Kinder bei Freunden sind“, betont Miksoz. „Es liegt an den Eltern, diese Gelegenheiten zu nutzen.“

Und weil es immer möglich ist, dass der Zufall Regie führt und die Kinder früher als erwartet nach Hause kommen, sollte man ihnen eines beibringen: „Bitte immer anklopfen, bevor ihr ins Schlafzimmer geht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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