Wenn Kinder allein Ferien machen (müssen)

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Neun Wochen Ferien. Wo die Betreuungslücken am größten sind, wie Kinder in Deutschland, Frankreich und Schweden ihre Ferien verbringen – und warum Programme für Ferien zuhause das gute alte Ferienlager ablösen.

„Der lange Sommer, neun Wochen Schulferien, ist eine Katastrophe.“ Ein Satz, dem Zigtausende Kinder, die an diesem Wochenende ihre ersten Ferientage verbringen, wohl deutlich widersprechen würden. Einige Organisationen – die Arbeiterkammer Wien, die Österreichische Plattform für Alleinerziehende (ÖPA), die Katholische Frauenbewegung (KFBÖ) sowie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Österreichs (Kabö) – haben aber erst jüngst Alarm geschlagen, dass das alte Problem, das Loch in der Kinderbetreuung im Sommer, für viele Eltern noch immer eklatant ist. Vor allem für Alleinerziehende, für Familien ohne Großeltern in der Nähe oder für jene, die sich die diversen Ferienlager nicht leisten können – und für jene im Westen.


Ost-West-Gefälle. Denn geht es um die Betreuung, gibt es in Österreich ein klares Ost-West-Gefälle: In Wien haben die Kindergärten mittlerweile de facto einen Ganzjahresbetrieb. Freilich variieren die Schließzeiten, aber laut einer Erhebung der Arbeiterkammer (die sich auf die Kindertagesheim-Statistik bezieht) haben die Kindergärten in Wien im Schnitt nur mehr 2,6 Tage im Jahr geschlossen. Und damit ist Wien relativ allein: Im Österreich-Schnitt sind die Kindergärten mit 27 Schließtagen länger zu, als ein Arbeitnehmer Urlaubsanspruch hat. In Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark sind es zwischen 27 und 29 Tage, in Salzburg, Kärnten und dem Burgenland 33 Tage – und in Tirol und Vorarlberg (44 bzw. 53 Tage) müssen schon beide Elternteile getrennt ihren Urlaub aufbrauchen, um die Kinder im Schichtdienst zu betreuen. Länger als fünf Wochen, so fordert es die Arbeiterkammer, sollte kein Kindergarten geschlossen haben.

Obwohl sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan hat, wie Sybille Pirklbauer von der Arbeiterkammer erklärt: 2009 waren die Kindergärten in ganz Österreich noch im Schnitt 37 Tage, also zehn Tage länger, geschlossen. Auch in Wien waren es damals noch mehr als acht Tage.

Noch größer aber ist die Differenz zwischen Ferien und Urlaubsanspruch bei Schulkindern: Schüler kommen auf mehr als 14 freie Wochen im Jahr. Während der Sommer mit seinen neun Ferienwochen für die Schüler nach langen Badetagen, nach Eis und Urlaubsfahrten klingt, ist er für Eltern vor allem eine organisatorische Herausforderung: Schon im Winter fangen viele an, Urlaube abzustimmen, Feriencamps zu buchen oder die Großeltern einzuspannen.

„Ohne Großeltern läuft kaum etwas“, sagt dazu Markus Kaindl vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien. Und: „Im Volksschulalter ist es noch leichter, etwas zu finden, als in der Sekundarstufe eins.“ Wobei es bei den Eltern massive Auffassungsunterschiede gäbe, wie lange ein Kind auch in den Ferien eine Betreuung brauche.

Die Betreuungsproblematik in den Ferien macht sich auch in der wachsenden Zahl der (privaten) Anbieter von Feriencamps deutlich. Gab es einst nur die traditionellen Ferienlager der Pfadfinder, der Jungschar oder politischer Organisationen wie das traditionelle Europacamp der Sozialistischen Jugend am Attersee, ist daraus mittlerweile ein ganzes Geschäftsfeld geworden – mit Archäologiewochen, Zirkuscamp oder Wellnessferien.

„In den letzten Jahren ist der Mitbewerb gewachsen. Es sind wesentlich mehr Anbieter dazugekommen“, sagt Robert Fink, Geschäftsführer des Anbieters High Jump Wien. Im ersten Jahr, 2005, hat man mit 50 Kindern begonnen. Aktuell werden zwischen 800 und 900 Kinder bei diversen Kursen im Universitätssportzentrum Schmelz betreut. Die Akademikerquote unter den Eltern ist laut Fink sehr hoch.

Wenig verwunderlich, immerhin hat so ein Feriencamp seinen Preis. Generell geht es preislich meist ab 100 Euro pro Woche los (ohne Übernachtung). Bei Sprachferien ist man schnell einmal bei 600 oder 700 Euro – pro Kind. Es gibt aber auch Förderungen – der Verein Wiener Jugenderholung etwa bietet gemeinsam mit der MA 11 Ferienwochen für Kinder von Alleinerziehenden oder günstige Urlaube für Familien oder Pflegefamilien an.

Denn gerade für Alleinerziehende ist die Ferienzeit ein Problem: Eine Umfrage der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende aus dem Jahr 2013 besagt, dass nur 18 Prozent der Alleinerzieherinnen die Betreuung in den Sommerferien über öffentliche Angebote abdecken können. Gabriele Fischer von der ÖPA sieht darin auch den Grund für die Landflucht. In Regionen in Tirol gebe es eine starke Abwanderung von Frauen, weil Vereinbarkeit nicht möglich sei.


Ferien zuhause boomen. Es liegt wohl auch am Geld, dass in den letzten Jahren die Nachfrage nach Ferienangeboten, bei denen die Kinder zuhause übernachten, gestiegen ist. „Der Trend entwickelt sich in die Richtung Ferienbetreuung zuhause. In den letzten zehn Jahren war das auf dem Vormarsch“, sagt Daniel Bohmann, Bundesgeschäftsführer der Kinderfreunde. Rund 4000 Kinder fahren jedes Jahr mit den Kinderfreunden in ein klassisches Ferienlager. Zahlen zu den Nutzern des Programms „Ferien zuhause“ hat Bohmann nicht. Er schätzt aber, dass es wesentlich mehr sind als bei den Feriencamps mit Übernachtung.

In Zahlen

Für 446.673 Schüler aus den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland haben die Ferien bereits begonnen.

2,6 Schließtage im Jahr haben die Wiener Kindergärten im Durchschnitt.

53 Schließtage im Jahr haben die Kindergärten in Vorarlberg im Durchschnitt.

25 Urlaubstage pro Jahr hat ein durchschnittlicher Arbeitnehmer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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