Ich drücke, also bin ich

Wenige Plüschtiere kommen ganz ohne Technik aus.
Wenige Plüschtiere kommen ganz ohne Technik aus.(c) Clemens Fabry
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Es kreischt, es blinkt – und es zieht Kinder magisch an. Aber kann man den Kleinsten guten Gewissens elektronisches Spielzeug schenken? Oder sind sie mit Teddy und Co. besser bedient?

Für Eltern sind Kinderzimmer elektronische Minenfelder. Nur ein unbedachter Schritt und schon läuft man in die Fänge des sprechenden Bauernhofs, der aus irgendeinem Grund Kühe und Weizensäcke fordert. Nebenan heischt die singende Barbie um Aufmerksamkeit. Spielzeugautos filmen ihre Stunts selbst mit und laden die Videos ins Netz. Bälle blinken und leuchten, bevor sie sich automatisch durch das Zimmer rollen. Und sogar Bücher lesen sich zur Sicherheit selbst vor, damit nur ja jemand von ihnen Notiz nimmt. Solange kein eigener Nachwuchs im Haus ist, fällt es leicht, elektronisches Spielzeug pauschal als nerviges Teufelszeug abzutun. Mit dem ersten Kind wird es komplizierter. Sind die digitalen Beschäftigungsmaschinen vielleicht doch sinnvoll oder ist der Junior auch im 21. Jahrhundert mit Bauklötzen und Bilderbüchern gut bedient? Die Kinder scheinen das blinkende Wunderwerk in jedem Fall zu lieben. Wie magisch angezogen krabbeln sie verlässlich zum lautesten und schrillsten Plastikding im Raum. „Orientierungsreflex“, nennen das die Psychologen. Neue Reize haben Vorrang, damit der Mensch klären kann, ob von einem neuen Objekt Gefahr ausgeht. Aber wie lange hält die Faszination an?

Bitte lade die Audiodatei. Wir beginnen die Spurensuche mit einem Dreijährigen, der zum ersten Mal den Lernstift TipToi in die Finger bekommt. Der Stift von Ravensburger kann längst mehr als nur Bücher vorlesen. Wir testen eine komplette Polizeistation mit Beamten, Autos und Räubern, die alle etwas zu sagen haben, wenn man den Stift ansetzt. Der Spielbeginn ist dennoch schleppend. Die Polizeiwache gleicht einem Kartenhaus, das auch nach liebevoller, mütterlicher Aufbauarbeit keine drei Sekunden mit dem Kleinkind überlebt. Rasch adoptiert wird nur das Polizeiauto – den intelligenten Stift hätte es dafür aber nicht gebraucht. Setzt man den TipToi-Stift an, tönt es in Endlosschleife: „Bitte drücke das Anschaltzeichen für dieses Produkt“. Kaum hat Papa dieses endlich gefunden, kontern die Programmierer mit „Bitte lade die Audiodatei“. Der kleine Testspieler ist inzwischen abgewandert und schnippelt fröhlich Holzgemüse. „Er ist zu jung“, klärt die Spielzeughändlerin auf. Ravensburger empfiehlt das Set ab vier. Die „Kontrollgruppe“ (der sechsjährige Cousin) war tatsächlich motivierter.

Pädagogisch wertvoll? Eine Antwort auf die Frage, ob elektronisches Spielzeug so pädagogisch wertvoll ist, wie es beworben wird, liefert das nicht. Was sagt also die Wissenschaft? Anna Sosa und ihr Team von der Northern Arizona University haben Kleinkinder zwischen zehn und sechzehn Monaten mit unterschiedlichen Spielsätzen ausgestattet. In einem waren ein Baby-Laptop, ein sprechender Bauernhof und Baby-Handy. In einem Holzpuzzles und ein Steckspiel. Und in einem Bilderbücher. Das Ergebnis: Mit elektronischem Spielzeug hatten Kinder (und Eltern) kaum einen Anreiz, selbst zu sprechen. Sie ließen sich eher berieseln. Mit Abstand am besten schnitten Bücher ab. Hier war die Interaktion zwischen Kind und Eltern am stärksten. Was die Studie außer Acht lässt: Nicht nur Sprechenlernen ist relevant für die Entwicklung eines Kindes. Auch die Erfahrung, einen Knopf zu drücken und damit selbst etwas in Gang zu bringen, ist wertvoll. „Ich drücke also bin ich“, die Lektion muss der Junior noch lernen. Schließlich braucht Papa bald einen Vorwand, der Familie endlich eine neue Playstation zu spendieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2017)

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