Streit um Kinder: Wer Obsorge hat, ist kein Entführer

(c) AP (Michael Probst)
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Den Strafverfolgungsbehörden sind vielfach die Hände gebunden. Wann liegt nun rechtlich eine Kindesentziehung bzw. Kindesentführung vor?

WIEN. Eltern führen leider nicht selten erbittert den Kampf um die Obsorge über die gemeinsamen Kinder und das Besuchsrecht. Leidtragende sind die gemeinsamen Kinder, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen. In diesen heftig geführten Auseinandersetzungen schrecken die Eltern auch manchmal nicht vor der „Kindesentziehung“ bzw. „Kindesentführung“ zurück. Vermehrt setzen sich die Elternteile mit ihren Kindern ins Ausland ab; aber auch im Inland kommt es, wie ein aktueller Fall aus Wien zeigt, zu dramatischen Vorfällen.

Doch wann liegt nun rechtlich eine Kindesentziehung bzw. Kindesentführung vor?

Straftatbestand der Kindesentziehung

Es gilt zwischen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Folgen einer widerrechtlichen Mitnahme des Kindes zu unterscheiden. Der Straftatbestand der Kindesentziehung nach §195 StGB wird durch verschiedene Begehungsformen erfüllt. Strafbar macht sich, wer ein minderjähriges Kind unter 16 Jahren dem Erziehungsberechtigten entzieht oder das Kind vor ihm verborgen hält. Auch die Verleitung oder Unterstützung des Minderjährigen, sich dem Erziehungsberechtigten zu entziehen oder sich vor ihm verborgen zu halten, fällt unter die Strafnorm.

Die Begehung der Tat ist bei unmündigen Kindern (bis Vollendung des 14. Lebensjahres) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht, bei mündigen Kindern beträgt die angedrohte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Die Staatsanwaltschaft verfolgt den Täter aber nur mit Ermächtigung des Erziehungsberechtigten, bei mündigen Kindern ist überdies die Ermächtigung des Jugendwohlfahrtsträgers erforderlich.

Die Staatsanwaltschaft hat aber ein sehr eingegrenztes Tätigkeitsfeld. Täter kann nämlich nur sein, wer über keine Erziehungsberechtigung für das Kind unter 16 Jahren verfügt. Ein Elternteil, der obsorgeberechtigt ist, kann somit nicht wegen des Strafdelikts der Kindesentziehung verfolgt werden. Es ist völlig irrelevant, ob er alleine oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil die Obsorge über das Kind hat. Wenn zum Beispiel beide Eltern obsorgeberechtigt sind und sich ein Elternteil während des anhängigen Obsorgeverfahrens ins Ausland absetzt, bleiben den Strafbehörden in Österreich die Hände gebunden. Der andere zurückgebliebene Elternteil muss danach trachten, dass er eine Rückführung des Kindes nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) bzw. nach der EU-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel IIa-VO) erwirken kann.

Obwohl diese Rechtslage nicht sehr befriedigend ist, sieht das Justizministerium keinen Änderungsbedarf und lehnte eine legistische Anregung der Volksanwaltschaft auf Ausdehnung des Täterkreises ab.

Zivilrechtlich besser geschützt

Die Entziehung des Kindes ist ein massiver Eingriff in das Recht des obsorgeberechtigten Elternteiles, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Dieses zum Obsorgebereich der Pflege und Erziehung gehörende Aufenthaltsbestimmungsrecht nach §146b ABGB wird zivilrechtlich besser als strafrechtlich geschützt. Wenn beide Elternteile bei aufrechter Ehe obsorgeberechtigt sind, haben sie einvernehmlich vorzugehen und gemeinsam den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Jener Elternteil, der ohne ausreichenden Grund und ohne Zustimmung des anderen Elternteiles diesem das Kind entzieht, handelt rechtswidrig. Auch bei beiderseitiger (gemeinsamer) Obsorge nach der Scheidung der Ehe ist der gesetzliche Schutz für beide Elternteile, mit geringfügigen Abweichungen, aufrecht. Bei der Scheidung der Ehe haben die Eltern im Falle der Beibehaltung der beiderseitigen Obsorge dem Gericht eine Vereinbarung vorzulegen, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll. Jenem Elternteil, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält, kommt im Falle mangelnder Einigung über den Aufenthalt des Kindes (z.B. Ortswechsel bzw. Wegzug des Elternteiles mit dem Kind) vorrangig die Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes zu. Dieses Vorrecht hat allerdings seine Grenzen, wenn die Aufenthaltsbestimmung durch diesen Elternteil die Ausübung der Obsorge durch den anderen Elternteil erheblich beeinträchtigt.

Die Mittel des Strafrechts gehören, gerade im Bereich des Familienrechts, sorgfältig und behutsam eingesetzt. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Stellung als Obsorgeberechtigter bereits im Vorhinein die Strafbarkeit wegen der Entziehung des Kindes ausschließt.

Mag. Markus Huber ist em. Rechtsanwalt und Mitarbeiter der Volksanwaltschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2010)

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