Die französische Philosophin Elisabeth Badinter ist wieder auf dem Kriegspfad: Gegen eine Stillideologie, die Mütter zu sehr und zu lange an das Baby bindet.
Früher waren die Männer zu Hause die Tyrannen, jetzt sind es die Babys, behaupten Sie in Ihrem neuen Buch „Der Konflikt“. Das sind starke Worte.
Elisabeth Badinter: Wenn ich sage, dass das Baby so dominant geworden ist, dann meine ich damit, dass die Mütter heute unter Druck gesetzt werden, ihre Kinder möglichst lang zu stillen und sich ein Jahr lang 24 Stunden täglich um ihr Baby zu kümmern. Mein Buch ist eine Antwort auf die sehr starken Ansichten vieler Kinderpsychologen, die dem feministischen Diskurs die Flügel gestutzt haben.
Sie geben die Schuld einer Natürlichkeitsideologie, die von Mutterinstinkt, Bonding und langem Stillen schwärme und die Frauen unter Druck setze. Aber bleiben die Frauen deswegen wirklich wieder länger zu Hause, oder ist Ihr Buch nur als Warnschuss gedacht? Wie sieht es zum Beispiel in Ihrer Heimat Frankreich aus?
Es gibt nicht viele Statistiken. Eine zeigt, dass in Frankreich und Irland am wenigsten gestillt wird. Französinnen hören viel schneller zu stillen auf als andere Europäerinnen, das hat mehrere Gründe. Einer ist, dass die meisten Frauen nach vier Monaten wieder zu arbeiten beginnen und in Frankreich mehr Mütter mit Kind Vollzeit arbeiten. Die Statistik zeigt aber auch, dass die Zahl der Französinnen, die in der Klinik stillen, stark zugenommen hat, es sind nun 72 Prozent. Dort werden die Frauen heute so sehr zum Stillen gedrängt, und viele trauen sich nicht Nein zu sagen. Es ist eine Sache zu stillen, weil sie es wollen – aber es ist schrecklich, wenn sie es nicht wollen, dann stehen sie unter großem moralischen Druck.
Ist es schon Manipulation zu sagen, dass Stillen das Beste für das Kind ist? Und wenn es nun die Wahrheit wäre?
Das Beste für das Baby ist nicht das Stillen, das Beste für das Baby ist eine glückliche Mutter! Ich habe genug davon, dass man den Müttern sagt, die Babymilch sei ein kleineres Übel. Niemals war sie so gut wie heute, sie ist perfekt an die Muttermilch angepasst. Der französische Kinderarzt Michael Kramer hat 17.000 Kinder bis zum Alter von sechs Jahren beobachtet; die Studie ergab, dass gestillte Kinder nicht, wie ständig behauptet wird, besser vor Asthma und Allergien geschützt sind. Hier werden lauter falsche Versprechungen gemacht. Vor 30 Jahren hinderte man die Frauen daran, zu stillen, das war ebenso schlimm – die Frauen sollen einfach machen, was sie wollen!
Sie singen ein Loblied auf die französische Kultur, in der es seit jeher selbstverständlich gewesen sei, die Kinder früh in Fremdbetreuung zu geben. Aber woher nehmen Sie die Überzeugung, dass diese Frauen nicht auch unter einem Druck stehen und zum Teil lieber länger beim Kind bleiben würden?
Weil der gegenwärtige Diskurs das Gegenteil verlangt. Noch bis gestern herrschte die Vorstellung, dass man Babys getrost Krippen anvertrauen kann. Die ganze Gesellschaft fand das früher normal, diese französische Tradition reicht bis in das Ammenwesen des 18.Jahrhunderts zurück. Heute heißt es, das Baby muss an erster Stelle kommen.
In der deutschen Übersetzung Ihres Buches taucht oft das Wort „Rabenmutter“ auf. Ist es bezeichnend, dass es im Französischen keinen entsprechenden Ausdruck dafür gibt?
Ja! Das sagt alles über den Unterschied. Ich habe nie erlebt, dass eine Mutter, die ihr Kind im ersten Jahr in die Krippe gibt, von ihrer Mutter oder Schwiegermutter gefragt worden wäre: Warum machst du das? Und französische Kinder sind auch nicht neurotischer als andere!
In Ihrem Buch scheint es nur die Alternative Krippe oder versklavte Mama zu geben. Was ist mit den Vätern?
Indirekt geht es auch um die Väter. Denn die neuen Theorien sind es, die den Vätern den Laufpass geben. Früher sprach man von einer Aufteilung der Elternpflichten, man hat die Väter zum Wohl des Kindes nach Hause geschickt und den Gluckenpapa erfunden. Jetzt sollen sich die Väter nicht mehr um das Flascherl kümmern, und man kann sie nicht einmal für schuldig erklären, weil die Psychologen es ihnen verbieten!
Vor genau dreißig Jahren veröffentlichten Sie Ihr Buch „Mutterliebe“, das in Frankreich Furore machte und erbitterte Lagerkämpfe auslöste. Die Rede vom „Mutterinstinkt“ war damals schon eines Ihrer Angriffsziele. Was genau stört Sie daran so?
Der Instinkt ist eine Sache der Säugetiere. Wir Menschen schaffen Bande der Liebe, nicht des Instinkts. Das Hormon Prolaktin wird nie so entscheidend sein wie das Unbewusste und die Wünsche der Mutter. Instinkt ist ein automatisches Verhalten, Liebe entsteht allmählich, manche finden sie gleich, manche brauchen Zeit, und manche finden sie nie. Instinkte sollte man den Tieren vorbehalten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2010)