Machen Kinder arm?

(c) Clemens Fabry
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Bis ein Kind 18 ist, kostet es seine Eltern 200.000 Euro. Außerdem macht es unflexibel und hemmt die Karriere. Experten fordern Ideen, wie man Kinderkriegen honorieren kann.

Die Eltern D. sitzen am Küchentisch. Ihre beiden Kinder haben schon gegessen und sich in die Zimmer zurückgezogen. Nun sitzen die Eltern vor einem Zettel. Sie rechnen die nächsten Monate durch. Wer braucht was? Auf der Liste stehen ein paar Ausgaben für die Schule, Kleidung, Winterstiefel, Weihnachtsgeschenke, Skikurs. Später im Jahr soll der ältere Sohn mit der Schule zwei Wochen auf Sprachreise fahren, die Kosten dafür bewegen sich um die 900 Euro. Die Stimmung sinkt zunehmend. „900 Euro?“, sagt schließlich der Vater. „Das ist schlecht. Da wird sich ein Skiurlaub wahrscheinlich nicht ausgehen.“

Familie D. ist nicht arm. Horst verdient als Architekt durchschnittlich gut. Seine Frau arbeitet derzeit zweieinhalb Tage die Woche, um Zeit für die beiden Söhne – elf und 16 Jahre alt – zu haben. Familie D. empfindet sich auch nicht als arm und will schon gar nicht mit der Anmutung assoziiert werden, dass sie ihren Lebensstandard nicht halten kann, weil sie Kinder hat. Die Eltern sind glücklich über ihre Söhne und kämen nie auf die Idee, ihren Nachwuchs in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Deshalb wollen sie zu diesem Thema auch nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen.

Gleichzeitig aber gibt es die ewigen Diskussionen ums Geld. Beneiden sie ihre kinderlosen Freunde? „Nein, sicher nicht“, sagt Horst D. Aber einen kleinen Seitenhieb kann er sich dann doch nicht verkneifen. „Golf und Segeltörn? Na, das wäre mit Kindern auch nicht mehr ganz so leicht.“

Machen Kinder arm? Die Statistik gibt widersprüchliche Antworten. Laut Familienbericht ist das Armutsrisiko einer Familie mit zwei Kindern und zwei erwerbstätigen Eltern in Österreich sogar unterdurchschnittlich. Zwei Einkommen müssen allerdings sein. Anders sieht es bei Familien mit mehr als drei Kindern aus oder bei Eltern, die Niedriglohnjobs haben. „264.000 Kinder in Österreich leben in relativer Armut“, erklärte etwa der Präsident der Caritas, Franz Küberl, vor Kurzem bei einer Enquete des Katholischen Familienverbandes Österreichs. Relative Armut (unter 60 Prozent des mittleren Einkommens) heißt, dass Familien nur eingeschränkt an den Aktivitäten ihres sozialen Umfelds teilnehmen können. „Manifeste Armut“ – elementare Grundbedürfnisse können nicht befriedigt werden – betrifft 130.000 Kinder.

Überproportional gefährdet sind Alleinerzieherinnen (88 Prozent davon sind in Österreich Frauen). „In 175.000 Einelternhaushalten mit wirtschaftlich abhängigen Kindern bis 27 leben 53.000 Kinder in Armut“, weiß Elisabeth Wöran von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende. Mütter oder Väter, die ihre Kinder ohne den Partner großziehen, haben nicht nur weniger Geld zur Verfügung, sondern stecken auch in einem Teufelskreis fest: Arbeiten sie, müssen die Kinder (oft gegen Geld) fremdbetreut werden. Viele Frauen entscheiden sich deshalb für Teilzeit – mit der Konsequenz, dass sie weniger verdienen. „Wenn die Kinder größer sind, knüpfen viele Frauen mehrere Jobs aneinander, um das Auslangen zu finden“, sagt Wöran.

Diese Probleme hat Familie D. nicht. Sie steckt in einer anderen „Kostenfalle Kind“: in der für die Mittelschicht typischen Überzeugung, dass für die Kinder nur das Beste gut genug ist. Dabei geht es nicht um Dinge wie Markenkleidung oder Playstation, sondern darum, bereits früh die soziale Zukunft und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Kinder zu sichern. In Deutschland sind laut „1. Jako-o Bildungsstudie“ 78 Prozent der Eltern der Meinung, dass gute Bildung von der Höhe des Familieneinkommens abhängt. Kinder sollen Sport treiben, Musikinstrumente lernen und mit ihren Peers mithalten können. Dazu gehört Nachhilfe, dazu gehören aber auch Sprachreisen – selbst wenn diese 900 Euro kosten.

Dieser Anspruch des Mittelstands relativiert die recht großzügigen österreichischen Transferleistungen, die Österreich immerhin den zweiten Platz in der OECD–Rangliste eingebracht haben. Familie D. bekommt Familienbeihilfe, Freifahrt und Gratisschulbücher. Diese Transferleistungen tragen durchschnittlich rund zehn Prozent zum Familieneinkommen bei.

Doch das reicht nicht, um die Kinderkosten zu decken. Der Wirtschaftsexperte Alois Guger errechnete 2003 in einer viel beachteten Wifo-Studie, dass ein Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres seine Eltern an die 200.000 Euro kostet. In dieser Berechnung waren erstmals nicht nur direkte, sondern auch indirekte Kosten enthalten: allen voran der Verdienstentgang der Frau, die entweder Teilzeit arbeitet oder ganz zu Hause bleibt, sowie die Betreuungskosten für jüngere Kinder. Dabei, so Guger, müssten Haushalte mit Kindern sogar ein deutlich höheres Einkommen realisieren, um das Wohlstandsniveau von Haushalten ohne Kinder zu erreichen: Bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern müssten es 34 Prozent mehr sein, bei drei Kindern sogar 52 Prozent mehr.

Sieben Jahre später zeigt sich, dass diese wirtschaftlichen Tatsachen nicht ohne soziale Konsequenzen bleiben. „Wir hatten es früher nicht notwendig, für Familienarbeit zu bezahlen. Die Kinder kamen so oder so. Heute müssen wir langsam fragen, wie man das Kinderkriegen honorieren kann“, meint die Ärztin und Familienexpertin Martina Leibovici-Mühlberger. Denn in Zeiten des „Hyper-Individualismus“, der das höchste Ideal darin sieht, über das eigene Leben uneingeschränkt bestimmen zu können, stünden mehr und mehr Menschen der Nachwuchsfrage skeptisch gegenüber. Leibovici-Mühlberger zitiert den Jahrgang der 1960 geborenen Frauen als Beispiel: Von diesen hätten an die 30 Prozent keine Kinder. Unter Akademikerinnen steige der Anteil sogar auf 42 Prozent.

Zum oft zitierten „Gebärstreik“ vor allem gut ausgebildeter Frauen gesellt sich dabei offenbar auch ein „Zeugungsstreik“. Vor allem junge Männer wollen sich immer weniger auf eine Familie festlegen. Nach dem deutschen Generationenbarometer, das auf der Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach basiert, sind mittlerweile 48 Prozent der Männer unter 45 Jahren der Ansicht, dass man auch ohne Kinder glücklich werden kann.

Wie schwer da das wirtschaftliche Argument wiegt, ist unklar. Manche behaupten, es spiele eine untergeordnete Rolle. „Einer Studie zufolge hätten wir statt 1,4 Kindern pro Frau 1,6 Kinder, wenn es höhere staatliche Zuwendungen gäbe“, sagt Helmuth Schattovits, Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Familienforschung und „Vater des Kindergeldes“ (siehe Interview).

Laut Schattovits geht es um etwas anderes: „In unserer nicht mehr sehr homogenen Gesellschaft ist die Peer-Group ganz wichtig. Und da wird schon verglichen, was man sich und was die anderen sich leisten können. Da wird das Kinderkriegen aufgeschoben. Und oft ist es dann auch aufgehoben.“ Also müssten Eltern sicher sein können, dass Kinder nicht zu einer unaufholbaren Belastung würden – beim Einkommen und später in der Pension. Und das, so Schattovits, gehe nur über mehr Wahlfreiheit für die Frauen, eine bessere Absicherung für die, die daheim bleiben wollen, und großzügigere Steuertarife für Familien.

einige Ideen

Eine Grundsicherung für Kinderwünschen sich viele Familienvertreter. Das Kinderbetreuungsgeld sollte zumindest für die ersten drei Lebensjahre auf Höhe der Grundsicherung angehoben werden. Eltern könnten somit leichter entscheiden, ob sie arbeiten gehen oder nicht.

Änderungen im Steuersystem: Das Existenzminimum für Kinder sollte vor der Bemessung der Steuerpflicht abgezogen werden.

Ein Gutscheinsystem für die Kinderbetreuung würde die Eltern von Bittstellern zu Kunden machen und die Chancen erhöhen, dass sie bekommen, was sie wirklich brauchen.

Mehr Geld für den FLAF, den Familienlastenausgleichsfonds, in den Firmen 4,5Prozent der Lohnsumme einzahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2010)

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