»Das Internet ist ein sehr wichtiger Freiraum«

Philipp Ikrath vom »Institut für Jugendkultur« hält nichts von der elektronischen Überwachung von Kindern und Jugendlichen. Diese diene meist nur der Psychohygiene der Eltern.

Immer mehr Eltern machen sich Sorgen, wo sich ihre Kinder im Internet herumtreiben. Ist diese Angst berechtigt oder übertrieben?

Philipp Ikrath: Sowohl das eine als auch das andere. Natürlich können Kinder und Jugendliche über das Internet sehr einfach auf Inhalte zugreifen, die für ihre Altersgruppe nicht gemacht sind: auf Pornografie oder Gewaltvideos. Bei vielen Seiten muss man sein Geburtsdatum eingeben, und wenn man über 18 ist, kommt man da automatisch hinein. Jeder halbwegs internetaffine Jugendliche, und sei er noch so jung, schafft das problemlos. Dieser Umstand wird aber auch genüsslich ausgeschlachtet. Es wird zum Beispiel immer wieder behauptet, dass ein großer Teil der Jugendlichen schon im jüngsten Alter Kontakt mit Pornografie gehabt habe. Diese Zahlen halte ich für übertrieben. Aber die grundlegende Sorge ist natürlich berechtigt – auch auf Grund der medialen Inkompetenz der Eltern. Es gibt genug Schutzmaßnahmen, seien es die im Computer selbst oder Programme, die man ohne Weiteres herunterladen kann. Viele Eltern können die aber nicht bedienen oder wissen gar nicht, dass es sie gibt. Oder sie werden von den Jugendlichen wieder ausgehebelt.

Es erklären ja auch eher die Kinder den Eltern die elektronische Welt.

Aber es gibt immer wieder Aufklärungskampagnen, die Eltern auf bestehende Angebote hinweisen. Die werden aber offenbar nicht wahrgenommen. Das Einfachste ist natürlich, das Thema zu googeln. Da gebe ich „Computer Kinderschutz Antipornografie“ ein und klicke mich durch die ersten Ergebnisse. Dann kommen sofort Programme, für die man kein IT-Fachmann sein muss, um sie installieren und bedienen zu können.

Was ist denn der beste Weg, um damit umzugehen? Solche Schutzprogramme? Oder sollen die Eltern unter falschem Namen auf Facebook nachforschen?

Dass die Eltern dem Kind auf Facebook nachspionieren, halte ich aus zwei Gründen für nicht zielführend. Erstens hätte ich da ethische Bedenken. Zweitens bringt es nichts. Das ist ein Wettrennen, das die Eltern schon verloren haben. Sobald die Kinder das spitzkriegen, legen sie sich einen neuen Account oder Namen zu. Programme, die Seiten sperren, auf denen als Schlagwort „Sex“ vorkommt, sind Dinge, die ich als Elternteil eines jüngeren Jugendlichen (jünger als 14) für vertretbar halte. Aber eine vollkommene und lückenlose Kontrolle des Internets ist unmöglich. Weil man kann ja immer auch bei Freunden nachschauen. Am besten ist es, mit dem Kind über die Dinge zu reden, die es im Internet tut. Aber auch das sollte nicht total kontrolliert sein, schon aus medienpädagogischen Gründen nicht. Die Eltern können dem Kind nicht wirklich weiterhelfen. Es muss den Umgang mit dem Internet selbst lernen, und die meisten Jugendlichen haben da auch eine ziemliche Kompetenz. Man wird einfach hinnehmen müssen, dass das Kind hin und wieder über einen fragwürdigen Inhalt stolpert – so wie man früher hinnehmen musste, dass es beim älteren Bruder vielleicht ein Pornoheft gefunden hat.

Schwächt eine rigorose Kontrolle die elterliche Autorität?

Jugendliche, die von ihren Eltern stark kontrolliert werden, lachen sich wahrscheinlich ins Fäustchen. Die können ja mit diesem Medium umgehen und zeigen den Eltern ohnedies nur das, von dem sie wissen, dass sie es sehen dürfen. Die Frage ist aber, wie weit diese Kontrolle auch der eigenen Psychohygiene der Eltern dient, indem sie sagen können, sie tun etwas und lassen das Kind nicht allein. Die meisten Eltern werden aber ihre Hilflosigkeit in dem Bereich auch selbst spüren.

Die nicht kontrollierten Freiräume von Kindern und Jugendlichen werden immer weniger. Füllt das Internet da eine Lücke?

Bis zu einem gewissen Grad natürlich. Kinder und Jugendliche mögen das ja auch überhaupt nicht, wenn die Eltern die ganze Zeit dabei sind, während sie surfen. Das ist ein sehr intimer Raum, in dem man sich mit Freunden und Bekannten austauscht. Genauso wie es den meisten Jugendlichen peinlich ist, wenn die Eltern bei der Party dauernd reinschauen, ob eh noch alles passt, genauso unangenehm ist es ihnen auch, wenn ihre Internetnutzung ständig durch einen Erwachsenen begleitet oder überwacht wird. Das ist schon ein sehr, sehr wichtiger Freiraum.

Wird die zunehmende elterliche Kontrolle als problematisch empfunden?

Ja, und zwar sowohl von Jugendlichen als auch von Eltern. In den letzten fünf bis zehn Jahren hat vor allem die übertriebene Sorge zugenommen, die dieser Überwachungstätigkeit zugrunde liegt. Der Philosoph Norbert Elias hat gesagt, dass Zivilisationsprozesse Prozesse sind, in denen das Maß an Fremdkontrolle verringert wird und die Menschen zunehmend die Selbstkontrolle lernen. Dass also nicht mehr alles überwacht und abgestraft wird, sondern die Menschen ein sozial opportunes Verhalten verinnerlichen und diese Kontrolle immer weniger benötigen.

Vor allem in den USA wird zunehmend die Ortung der Kinder über GMS oder GPS genutzt. Wird das bei uns auch kommen?

Es wäre zumindest eine logische Konsequenz dessen, was heute schon gebräuchlich ist. Für den Typus der überbesorgten Eltern könnte das schon eine Option sein. Aber Jugendliche würden sicher Mittel und Wege finden, um diese Vorrichtungen lahmzulegen.

Ist das Freiheitsberaubung oder gibt das verlorene Freiheit zurück?

Ich persönlich stehe dem mit relativ großen Bedenken gegenüber. Ich glaube, dass das weder für die Entwicklung des Kindes zu einem verantwortungsbewussten Menschen noch für die Eltern eine wirklich gute Möglichkeit ist. Denn was bringen solche Gadgets? Wenn ich das Kind mit einem Peilsender in den Park schicke, weiß ich zwar, wo das Kind ist, aber was mit dem Kind in diesem Park passiert, weiß ich nicht – zum Beispiel, ob es gerade von einer Gruppe von Älteren verprügelt wird. Ich glaube nicht, dass das ein opportuner Problemlöser ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2011)

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