Erziehung: Jeder Zehnte überfordert

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Vor allem Mütter stoßen an ihre Grenzen. Alleinerzieher, Patchwork-Eltern gleichauf. Ein neuer Erziehungsstil verliert die Scheu vor körperlichen Sanktionen.

Österreichs Eltern fühlen sich zunehmend unter Druck. Jeder Zehnte sieht sich bei der Erziehung der Kinder überfordert. Betroffen sind in erster Linie Frauen, die nach wie vor viel mehr Zeit für die Kindererziehung aufwenden und sich dafür viel stärker verantwortlich fühlen als ihre (männlichen) Partner. Besonders unter Druck sind Mütter von Kindern zwischen ein und drei Jahren, Alleinerzieherinnen und alle jene, die ihre Ansprüche an die eigenen Fähigkeiten und Ziele in der Erziehung allzu hoch schrauben. Eine zeitgemäße Entwicklung ist, dass „Patchwork“-Familien bei der Überforderung in Sachen Kindererziehung und -betreuung mit Alleinerziehern bereits gleichauf liegen.

Höhere Ansprüche

Das zeigen erste Ergebnisse einer noch nicht veröffentlichten Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die 1875 Personen mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren auf den Zahn fühlte, wie weit Anspruch und Realität in der Kindererziehung auseinander klaffen. „Die Ansprüche der Eltern an sich selbst sind sehr hoch“, sagt Doris Klepp, für die Studie verantwortlich. „Diese Ansprüche haben sich stark verändert, sie sind gestiegen – und sie erfordern Fähigkeiten, die die Eltern meistens nicht mitbringen.“ Diese Gefahr sieht auch der dänische Erziehungsexperte Jesper Juul. „Für manche ist Kindererziehung ein Leistungssport“, warnt er in einem Interview mit der „Presse“, das am 7. April in der neuen Montags-Beilage "Leben & Lernen" erscheint.

Einige überforderte Eltern greifen daher zu Mitteln, die dem etablierten Konsens über eine gewaltfreie Kindererziehung widersprechen. Jede dritte Mutter (aber nur jeder zehnte Vater) gibt an, mindestens einmal pro Woche in einer Konfliktsituation mit dem Kind wütend zu werden. Interessant dabei, wie dieser Wut freier Lauf gelassen wird: Vor allem das Verhalten der höchsten Bildungsschicht, die als Trendsetter für gesellschaftliche Entwicklungen gilt, zeigt, dass eine Rückkehr zu einem mehr körperlich sanktionierten Verhalten möglich ist. Ein Kind „fester anfassen“ oder ihm auch „einen leichten Klaps geben“ könnte damit wieder salonfähig werden.

Die Studienautoren führen diese Entwicklung darauf zurück, dass derzeit die Warnung vor einem „Erziehungsnotstand“, verbunden mit der Forderung nach Rückkehr zu mehr Autorität und klaren Grenzen für die Kinder, an Popularität gewinnt. Das Resultat könnte ein neuer Erziehungsstil sein, der neue Werte mit alten, überholt geglaubten verbindet. So weit ist es aber noch nicht. Die ersten Studienergebnisse zeigen eine klare Präferenz der meisten Eltern für einen „partnerschaftlichen“ Erziehungsstil, in dem das Kind gehört und seine Meinung respektiert wird. Das verlangt den Eltern aber viel ab: Flexibilität, Mobilität, Wissen, Kommunikation, Emotionalität – und kostet vor allem sehr viel Zeit.

Nicht ohne Grund nährt der Zeitfaktor maßgeblich das Gefühl der Eltern, bei der Erziehung überfordert zu sein. Der Zeitmangel trifft wiederum die Frauen besonders, vor allem, wenn sie auch noch erwerbstätig sind. 75 Prozent haben pro Woche höchstens sechs Stunden Freizeit, in denen sie sich der eigenen Regeneration widmen können. Nur 55 Prozent der Männer leiden an einem ähnlichen „Freizeit-Engpass“.

Ab elf wird's besser

Das Gefühl, sich nie erholen zu können, äußert sich in empfundener Überforderung bei Kindererziehung – und zwar doppelt so hoch bei Frauen wie bei Männern. Bei den Frauen ist das Gefühl der Überforderung am höchsten, wenn die Kinder im Säuglingsalter sind, und nimmt erst ab, wenn die Kinder elf Jahre alt werden. Die Kindererziehung fordert beide Elternteile am stärksten, wenn die Sprösslinge im Alter zwischen eins und drei ihre Nerven einer Belastungsprobe unterziehen. Als besonders heikel werden Schlafprobleme, Vereinnahmung durch das Kind, schlechte Leistungen, Trödeln, Ernährungsprobleme, Aggression oder Rückzug empfunden.

Sowohl Klepp als auch Juul verwehren sich aber dagegen, dass bei der Kindererziehung vieles nur im Argen liege: „Im Großen und Ganzen kommen noch immer sehr viele Eltern mit ihren Kindern sehr gut zu recht“, sagt Klepp.

Österreichisches Institut für Familienforschung

Rat und Hilfe

Überforderte Eltern brauchen besonders dringend Beratung und Hilfe. „Das kann wesentlich zur Entlastung beitragen", sagt Wolfgang Mazal, Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Zur Auswahl stehen Ratgeber, Seminare oder Gespräche im Freundeskreis. Das Familienministerium bietet ein Forum auf www.eltern-bildung.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 5. 4. 2008)

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